mir selbst Stoff zum Spekuliren. Es läßt sich für und gegen jede Idee in der Welt sprechen, und es ist daher gar keine Kunst, mit jeder- mann zu streiten, und da ich nach meiner Ueber- zeugung immer der Skeptiker seyn muß und ihn manchmal noch mehr spiele, als ich es bin, so wird es mir leicht, selbst den Gescheidtesten scheinbar zu besiegen. Frauenzimmern besonders gefiel ich ungemein, erstlich, weil ich blaß und krank aussahe, dann weil sie mich für einen Fremden und für eine Art von Atheisten hiel- ten. Sie mögen nichts in der Welt so gern bewundern, als wovor sie sich fürchten, ja Furcht und Bewunderung ist bey ihnen einer- ley. -- Sie boten immer ihren ganzen Verstand auf, um eben die Ideen zu äußern, die ich meinte, und stets trafen sie auf ganz verschiedene. Ihr Verstand besteht überhaupt mehr in Schlau- heit, als Ueberlegung; sie überlegen, nachdem sie einen Schluß gemacht haben, und ihre Phi- losophie ist aus Eigensinn entstanden, und wird daher immer mit Hartnäckigkeit vertheidigt. Sie kennen die Menschen nie, die sie lieben, weil sie sich keine der Bemerkungen, die sie über diese gemacht haben, eingestehn, und kein
Wesen
mir ſelbſt Stoff zum Spekuliren. Es laͤßt ſich fuͤr und gegen jede Idee in der Welt ſprechen, und es iſt daher gar keine Kunſt, mit jeder- mann zu ſtreiten, und da ich nach meiner Ueber- zeugung immer der Skeptiker ſeyn muß und ihn manchmal noch mehr ſpiele, als ich es bin, ſo wird es mir leicht, ſelbſt den Geſcheidteſten ſcheinbar zu beſiegen. Frauenzimmern beſonders gefiel ich ungemein, erſtlich, weil ich blaß und krank ausſahe, dann weil ſie mich fuͤr einen Fremden und fuͤr eine Art von Atheiſten hiel- ten. Sie moͤgen nichts in der Welt ſo gern bewundern, als wovor ſie ſich fuͤrchten, ja Furcht und Bewunderung iſt bey ihnen einer- ley. — Sie boten immer ihren ganzen Verſtand auf, um eben die Ideen zu aͤußern, die ich meinte, und ſtets trafen ſie auf ganz verſchiedene. Ihr Verſtand beſteht uͤberhaupt mehr in Schlau- heit, als Ueberlegung; ſie uͤberlegen, nachdem ſie einen Schluß gemacht haben, und ihre Phi- loſophie iſt aus Eigenſinn entſtanden, und wird daher immer mit Hartnaͤckigkeit vertheidigt. Sie kennen die Menſchen nie, die ſie lieben, weil ſie ſich keine der Bemerkungen, die ſie uͤber dieſe gemacht haben, eingeſtehn, und kein
Weſen
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mir ſelbſt Stoff zum Spekuliren. Es laͤßt ſich
fuͤr und gegen jede Idee in der Welt ſprechen,
und es iſt daher gar keine Kunſt, mit jeder-
mann zu ſtreiten, und da ich nach meiner Ueber-
zeugung immer der Skeptiker ſeyn muß und ihn
manchmal noch mehr ſpiele, als ich es bin, ſo
wird es mir leicht, ſelbſt den Geſcheidteſten
ſcheinbar zu beſiegen. Frauenzimmern beſonders
gefiel ich ungemein, erſtlich, weil ich blaß und
krank ausſahe, dann weil ſie mich fuͤr einen
Fremden und fuͤr eine Art von Atheiſten hiel-
ten. Sie moͤgen nichts in der Welt ſo gern
bewundern, als wovor ſie ſich fuͤrchten, ja
Furcht und Bewunderung iſt bey ihnen einer-
ley. — Sie boten immer ihren ganzen Verſtand
auf, um eben die Ideen zu aͤußern, die ich
meinte, und ſtets trafen ſie auf ganz verſchiedene.
Ihr Verſtand beſteht uͤberhaupt mehr in Schlau-
heit, als Ueberlegung; ſie uͤberlegen, nachdem
ſie einen Schluß gemacht haben, und ihre Phi-
loſophie iſt aus Eigenſinn entſtanden, und wird
daher immer mit Hartnaͤckigkeit vertheidigt.
Sie kennen die Menſchen nie, die ſie lieben,
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/119>, abgerufen am 27.11.2024.
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