ren nöthig haben, um mit ihnen aus Langewei- le zu sympathisiren. Wie verächtlich ist die kin- dische Empfindsamkeit einer Emilie, die gleich- sam seit Jahren darauf gewartet hat, um ihre tragische Aufopferung an den Mann zu bringen. Sollte ich nun ein so großer Thor seyn, und ihre theatralische Affektation für Ernst nehmen, und mich wunder! wie sehr gerührt fühlen? -- Man kann wirklich etwas besseres thun, als je- de Narrheit der Menschen mitmachen, und der ist der verächtlichste Thor, der diese Narrheiten abgeschmackt findet, und sich dennoch scheut sie als Kindereyen zu behandeln. -- Sie weint jetzt vielleicht, und bald trocknet sie aus Langeweile ihre Thränen, dann ist sie böse auf mich, dann schämt sie sich vor sich selber, und dann hat sie mich vergessen.
Daß sie sich selbst auf einige Zeit ihr häus- liches Glück zerstört hat, ist ihre eigene Schuld; daß sie sich nach dem Uebereinkommen jetzt vor manchen Menschen schämen muß, kann mir zu kei- nem Vorwurfe gereichen. Ich übte eine Rolle an ihr, und sie kam mir mit einer andern ent- gegen, wir spielten mit vielem Ernste die Kom- position eines schlechten Dichters, und jetzt thut
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ren noͤthig haben, um mit ihnen aus Langewei- le zu ſympathiſiren. Wie veraͤchtlich iſt die kin- diſche Empfindſamkeit einer Emilie, die gleich- ſam ſeit Jahren darauf gewartet hat, um ihre tragiſche Aufopferung an den Mann zu bringen. Sollte ich nun ein ſo großer Thor ſeyn, und ihre theatraliſche Affektation fuͤr Ernſt nehmen, und mich wunder! wie ſehr geruͤhrt fuͤhlen? — Man kann wirklich etwas beſſeres thun, als je- de Narrheit der Menſchen mitmachen, und der iſt der veraͤchtlichſte Thor, der dieſe Narrheiten abgeſchmackt findet, und ſich dennoch ſcheut ſie als Kindereyen zu behandeln. — Sie weint jetzt vielleicht, und bald trocknet ſie aus Langeweile ihre Thraͤnen, dann iſt ſie boͤſe auf mich, dann ſchaͤmt ſie ſich vor ſich ſelber, und dann hat ſie mich vergeſſen.
Daß ſie ſich ſelbſt auf einige Zeit ihr haͤus- liches Gluͤck zerſtoͤrt hat, iſt ihre eigene Schuld; daß ſie ſich nach dem Uebereinkommen jetzt vor manchen Menſchen ſchaͤmen muß, kann mir zu kei- nem Vorwurfe gereichen. Ich uͤbte eine Rolle an ihr, und ſie kam mir mit einer andern ent- gegen, wir ſpielten mit vielem Ernſte die Kom- poſition eines ſchlechten Dichters, und jetzt thut
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ren noͤthig haben, um mit ihnen aus Langewei-
le zu ſympathiſiren. Wie veraͤchtlich iſt die kin-
diſche Empfindſamkeit einer Emilie, die gleich-
ſam ſeit Jahren darauf gewartet hat, um ihre
tragiſche Aufopferung an den Mann zu bringen.
Sollte ich nun ein ſo großer Thor ſeyn, und
ihre theatraliſche Affektation fuͤr Ernſt nehmen,
und mich wunder! wie ſehr geruͤhrt fuͤhlen? —
Man kann wirklich etwas beſſeres thun, als je-
de Narrheit der Menſchen mitmachen, und der
iſt der veraͤchtlichſte Thor, der dieſe Narrheiten
abgeſchmackt findet, und ſich dennoch ſcheut ſie
als Kindereyen zu behandeln. — Sie weint jetzt
vielleicht, und bald trocknet ſie aus Langeweile
ihre Thraͤnen, dann iſt ſie boͤſe auf mich, dann
ſchaͤmt ſie ſich vor ſich ſelber, und dann hat ſie
mich vergeſſen.
Daß ſie ſich ſelbſt auf einige Zeit ihr haͤus-
liches Gluͤck zerſtoͤrt hat, iſt ihre eigene Schuld;
daß ſie ſich nach dem Uebereinkommen jetzt vor
manchen Menſchen ſchaͤmen muß, kann mir zu kei-
nem Vorwurfe gereichen. Ich uͤbte eine Rolle
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/106>, abgerufen am 27.11.2024.
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