einer so hoch erhabnen Stufe, als wenn die Augen wie Sterne funkeln, und der Geist, wie eine Mänade wild durch alle Regionen der frechsten und wildesten Gedanken schwärmt. Dann pochen wir auf unsre Größe, und sind unser Seele und Unsterblichkeit gewiß, kein lahm- kriechender Zweifel holt den fliegenden Geist ein; wir durchschauen wie mit Seherblicken die Welt, wir bemerken die Klüfte in unsern Gedanken und Meinungen, und fühlen mit lachendem Wohlbehagen, wie Denken und Fühlen, Träu- men und Philosophiren, wie alle unsre Kräfte und Neigungen, alle Triebe, Wünsche und Ge- nüsse nur Eine, Eine glänzende Sonne ausma- chen, die nur in uns selbst zuweilen so tief hin- untersinkt, daß wir ihre verschiedene Strah- lenbrechung für unterschiedene getrennte Wesen halten.
Spotten Sie nicht, Rosa, wenn ich Ihnen sage, daß jetzt eben diese Gluth des Weins aus mir spricht: oder spotten Sie vielmehr, so viel Sie wollen, denn auch das gehört zu den Vor- trefflichkeiten des Menschen. Ich fühle es jetzt lebhaft, wie alles, alles was mich umgiebt, in Einem Range steht. -- Der Wein läßt mich
einer ſo hoch erhabnen Stufe, als wenn die Augen wie Sterne funkeln, und der Geiſt, wie eine Maͤnade wild durch alle Regionen der frechſten und wildeſten Gedanken ſchwaͤrmt. Dann pochen wir auf unſre Groͤße, und ſind unſer Seele und Unſterblichkeit gewiß, kein lahm- kriechender Zweifel holt den fliegenden Geiſt ein; wir durchſchauen wie mit Seherblicken die Welt, wir bemerken die Kluͤfte in unſern Gedanken und Meinungen, und fuͤhlen mit lachendem Wohlbehagen, wie Denken und Fuͤhlen, Traͤu- men und Philoſophiren, wie alle unſre Kraͤfte und Neigungen, alle Triebe, Wuͤnſche und Ge- nuͤſſe nur Eine, Eine glaͤnzende Sonne ausma- chen, die nur in uns ſelbſt zuweilen ſo tief hin- unterſinkt, daß wir ihre verſchiedene Strah- lenbrechung fuͤr unterſchiedene getrennte Weſen halten.
Spotten Sie nicht, Roſa, wenn ich Ihnen ſage, daß jetzt eben dieſe Gluth des Weins aus mir ſpricht: oder ſpotten Sie vielmehr, ſo viel Sie wollen, denn auch das gehoͤrt zu den Vor- trefflichkeiten des Menſchen. Ich fuͤhle es jetzt lebhaft, wie alles, alles was mich umgiebt, in Einem Range ſteht. — Der Wein laͤßt mich
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einer ſo hoch erhabnen Stufe, als wenn die
Augen wie Sterne funkeln, und der Geiſt, wie
eine Maͤnade wild durch alle Regionen der
frechſten und wildeſten Gedanken ſchwaͤrmt.
Dann pochen wir auf unſre Groͤße, und ſind
unſer Seele und Unſterblichkeit gewiß, kein lahm-
kriechender Zweifel holt den fliegenden Geiſt ein;
wir durchſchauen wie mit Seherblicken die Welt,
wir bemerken die Kluͤfte in unſern Gedanken
und Meinungen, und fuͤhlen mit lachendem
Wohlbehagen, wie Denken und Fuͤhlen, Traͤu-
men und Philoſophiren, wie alle unſre Kraͤfte
und Neigungen, alle Triebe, Wuͤnſche und Ge-
nuͤſſe nur Eine, Eine glaͤnzende Sonne ausma-
chen, die nur in uns ſelbſt zuweilen ſo tief hin-
unterſinkt, daß wir ihre verſchiedene Strah-
lenbrechung fuͤr unterſchiedene getrennte Weſen
halten.
Spotten Sie nicht, Roſa, wenn ich Ihnen
ſage, daß jetzt eben dieſe Gluth des Weins aus
mir ſpricht: oder ſpotten Sie vielmehr, ſo viel
Sie wollen, denn auch das gehoͤrt zu den Vor-
trefflichkeiten des Menſchen. Ich fuͤhle es jetzt
lebhaft, wie alles, alles was mich umgiebt, in
Einem Range ſteht. — Der Wein laͤßt mich
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/83>, abgerufen am 21.11.2024.
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