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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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zu seiner Bequemlichkeit haben wollte. Wenn
nun plötzlich eine lange zurückgehaltene Empfin-
dung wie ein Waldstrom in die Seele zurück-
schießt? O biete denn einmahl im Moment der
Ueberraschung deine Rednerkünste auf, suche die
Schleuse, die ihn wieder zurückdrängt! -- Dankt
Gott, daß der Mensch die Konsequenz nicht
hat, auf die ihr eure Berechnungen gründet,
denn dadurch allein trifft er oft zufälliger Weise
mit euren Exempeln zusammen.

Du sprichst über die Eitelkeit gut und rich-
tig, weil Du über Dich selbst sprichst. Es ist
gar nicht nöthig, daß die Menschen aufrichtig
sind, man findet ihre Meinung doch unter dem
Wust von Lügen heraus. Aber glaube mir, daß
bey Dir nur ein Paar Zufälle nöthig wären,
um Dich aus Deiner Philosophie, oder Ueber-
zeugung, oder Stimmung (nenn es wie Du
willst) herauszuwerfen. Die meisten Menschen
gehören gern zu irgend einer Schule, alle Vor-
züge und Vortrefflichkeiten ihrer Vorgänger ziehn
sie dann stillschweigend auf sich, weil sie den
Nahmen ihrer Anhänger tragen: sie haben es
gern, wenn sie alle Meinungen und Empfindun-
gen wie in einem Schema vor Augen haben,

Lovell. 2r Bd. E

zu ſeiner Bequemlichkeit haben wollte. Wenn
nun ploͤtzlich eine lange zuruͤckgehaltene Empfin-
dung wie ein Waldſtrom in die Seele zuruͤck-
ſchießt? O biete denn einmahl im Moment der
Ueberraſchung deine Rednerkuͤnſte auf, ſuche die
Schleuſe, die ihn wieder zuruͤckdraͤngt! — Dankt
Gott, daß der Menſch die Konſequenz nicht
hat, auf die ihr eure Berechnungen gruͤndet,
denn dadurch allein trifft er oft zufaͤlliger Weiſe
mit euren Exempeln zuſammen.

Du ſprichſt uͤber die Eitelkeit gut und rich-
tig, weil Du uͤber Dich ſelbſt ſprichſt. Es iſt
gar nicht noͤthig, daß die Menſchen aufrichtig
ſind, man findet ihre Meinung doch unter dem
Wuſt von Luͤgen heraus. Aber glaube mir, daß
bey Dir nur ein Paar Zufaͤlle noͤthig waͤren,
um Dich aus Deiner Philoſophie, oder Ueber-
zeugung, oder Stimmung (nenn es wie Du
willſt) herauszuwerfen. Die meiſten Menſchen
gehoͤren gern zu irgend einer Schule, alle Vor-
zuͤge und Vortrefflichkeiten ihrer Vorgaͤnger ziehn
ſie dann ſtillſchweigend auf ſich, weil ſie den
Nahmen ihrer Anhaͤnger tragen: ſie haben es
gern, wenn ſie alle Meinungen und Empfindun-
gen wie in einem Schema vor Augen haben,

Lovell. 2r Bd. E
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[65/0071] zu ſeiner Bequemlichkeit haben wollte. Wenn nun ploͤtzlich eine lange zuruͤckgehaltene Empfin- dung wie ein Waldſtrom in die Seele zuruͤck- ſchießt? O biete denn einmahl im Moment der Ueberraſchung deine Rednerkuͤnſte auf, ſuche die Schleuſe, die ihn wieder zuruͤckdraͤngt! — Dankt Gott, daß der Menſch die Konſequenz nicht hat, auf die ihr eure Berechnungen gruͤndet, denn dadurch allein trifft er oft zufaͤlliger Weiſe mit euren Exempeln zuſammen. Du ſprichſt uͤber die Eitelkeit gut und rich- tig, weil Du uͤber Dich ſelbſt ſprichſt. Es iſt gar nicht noͤthig, daß die Menſchen aufrichtig ſind, man findet ihre Meinung doch unter dem Wuſt von Luͤgen heraus. Aber glaube mir, daß bey Dir nur ein Paar Zufaͤlle noͤthig waͤren, um Dich aus Deiner Philoſophie, oder Ueber- zeugung, oder Stimmung (nenn es wie Du willſt) herauszuwerfen. Die meiſten Menſchen gehoͤren gern zu irgend einer Schule, alle Vor- zuͤge und Vortrefflichkeiten ihrer Vorgaͤnger ziehn ſie dann ſtillſchweigend auf ſich, weil ſie den Nahmen ihrer Anhaͤnger tragen: ſie haben es gern, wenn ſie alle Meinungen und Empfindun- gen wie in einem Schema vor Augen haben, Lovell. 2r Bd. E

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/71>, abgerufen am 21.11.2024.