in die verschleierte Welt hinein; -- es giebt nichts mehr, das mich entsetzt; und das macht mich betrübt. Der menschliche Geist kann alle Ideen sehr schnell erschöpfen, weil er nur weni- ge fassen kann. Er hat wie ein Monochord nur sehr wenige Töne.
Lebe wohl, wenn es in dieser Welt möglich ist; sei recht glücklich, mag ich nicht hinzufügen, weil es kein Glück giebt, als zu sterben, und ich weiß, daß Du den Tod fürchtest. -- Ich habe schon oft heimliche Verwünschungen ausgestoßen und gräßliche Sprüche versucht, um die Gegen- stände um mich her in andre zu verwandeln. Aber noch hat sich mir kein Geheimniß enthüllt, noch hat die Natur nicht meinen Bezauberun- gen geantwortet: -- es ist gräßlich, nichts mehr zu lernen und keine neue Erfahrung zu machen, -- ich muß fort, in die Wildnisse der Appenninen und Pyrenäen hinein, -- oder einen noch kür- zern Weg in das kalte würmervolle Grab.
in die verſchleierte Welt hinein; — es giebt nichts mehr, das mich entſetzt; und das macht mich betruͤbt. Der menſchliche Geiſt kann alle Ideen ſehr ſchnell erſchoͤpfen, weil er nur weni- ge faſſen kann. Er hat wie ein Monochord nur ſehr wenige Toͤne.
Lebe wohl, wenn es in dieſer Welt moͤglich iſt; ſei recht gluͤcklich, mag ich nicht hinzufuͤgen, weil es kein Gluͤck giebt, als zu ſterben, und ich weiß, daß Du den Tod fuͤrchteſt. — Ich habe ſchon oft heimliche Verwuͤnſchungen ausgeſtoßen und graͤßliche Spruͤche verſucht, um die Gegen- ſtaͤnde um mich her in andre zu verwandeln. Aber noch hat ſich mir kein Geheimniß enthuͤllt, noch hat die Natur nicht meinen Bezauberun- gen geantwortet: — es iſt graͤßlich, nichts mehr zu lernen und keine neue Erfahrung zu machen, — ich muß fort, in die Wildniſſe der Appenninen und Pyrenaͤen hinein, — oder einen noch kuͤr- zern Weg in das kalte wuͤrmervolle Grab.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0047"n="41"/>
in die verſchleierte Welt hinein; — es giebt<lb/>
nichts mehr, das mich entſetzt; und das macht<lb/>
mich betruͤbt. Der menſchliche Geiſt kann alle<lb/>
Ideen ſehr ſchnell erſchoͤpfen, weil er nur weni-<lb/>
ge faſſen kann. Er hat wie ein Monochord nur<lb/>ſehr wenige Toͤne.</p><lb/><p>Lebe wohl, wenn es in dieſer Welt moͤglich<lb/>
iſt; ſei recht gluͤcklich, mag ich nicht hinzufuͤgen,<lb/>
weil es kein Gluͤck giebt, als zu ſterben, und ich<lb/>
weiß, daß Du den Tod fuͤrchteſt. — Ich habe<lb/>ſchon oft heimliche Verwuͤnſchungen ausgeſtoßen<lb/>
und graͤßliche Spruͤche verſucht, um die Gegen-<lb/>ſtaͤnde um mich her in andre zu verwandeln.<lb/>
Aber noch hat ſich mir kein Geheimniß enthuͤllt,<lb/>
noch hat die Natur nicht meinen Bezauberun-<lb/>
gen geantwortet: — es iſt graͤßlich, nichts mehr<lb/>
zu lernen und keine neue Erfahrung zu machen, —<lb/>
ich muß fort, in die Wildniſſe der Appenninen<lb/>
und Pyrenaͤen hinein, — oder einen noch kuͤr-<lb/>
zern Weg in das kalte wuͤrmervolle Grab.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[41/0047]
in die verſchleierte Welt hinein; — es giebt
nichts mehr, das mich entſetzt; und das macht
mich betruͤbt. Der menſchliche Geiſt kann alle
Ideen ſehr ſchnell erſchoͤpfen, weil er nur weni-
ge faſſen kann. Er hat wie ein Monochord nur
ſehr wenige Toͤne.
Lebe wohl, wenn es in dieſer Welt moͤglich
iſt; ſei recht gluͤcklich, mag ich nicht hinzufuͤgen,
weil es kein Gluͤck giebt, als zu ſterben, und ich
weiß, daß Du den Tod fuͤrchteſt. — Ich habe
ſchon oft heimliche Verwuͤnſchungen ausgeſtoßen
und graͤßliche Spruͤche verſucht, um die Gegen-
ſtaͤnde um mich her in andre zu verwandeln.
Aber noch hat ſich mir kein Geheimniß enthuͤllt,
noch hat die Natur nicht meinen Bezauberun-
gen geantwortet: — es iſt graͤßlich, nichts mehr
zu lernen und keine neue Erfahrung zu machen, —
ich muß fort, in die Wildniſſe der Appenninen
und Pyrenaͤen hinein, — oder einen noch kuͤr-
zern Weg in das kalte wuͤrmervolle Grab.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/47>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.