Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Cromwell war so glücklich viele wirkliche
Freunde zu finden, ob er gleich keinen lieb-
te; er konnte sie zu Aufopferungen auffor-
dern, und keiner wagte es, ihn um ähnli-
che Opfer zu mahnen, da ihn keiner in sei-
ner Gewalt hatte. Alle fürchteten ihn, und
er wußte wie weit er jene nicht zu fürchten
hatte; er war daher nicht tollkühn. Er hatte
es empfunden, wie fein die Gränzen im Men-
schen zwischen Empfindungen sind, die wir Ex-
treme nennen, weil wir sie uns wie den Nord-
und Südpol gegen über denken: aber zwischen gut
und böse, zwischen Freund und Feind, dem
Pietisten und Gotteslästerer, dem Patrioten
und dem Landesverräther liegt nur eine Sekun-
de. Cromwell wußte dies, und setzte seine
Freunde daher in keine Spannung gegen sich.

Je mehr ich seinen Charakter überdenke, je
menschlicher finde ich ihn; nur daß er ein
großer Mensch, ein leuchtendes Meteor war.
Wer ihn ein Ungeheuer nennt, hat nie über
ihn, oder über sich selber nachgedacht.

Er hatte das Unglück einen einfältigen Sohn
zu haben.




Drey

Cromwell war ſo gluͤcklich viele wirkliche
Freunde zu finden, ob er gleich keinen lieb-
te; er konnte ſie zu Aufopferungen auffor-
dern, und keiner wagte es, ihn um aͤhnli-
che Opfer zu mahnen, da ihn keiner in ſei-
ner Gewalt hatte. Alle fuͤrchteten ihn, und
er wußte wie weit er jene nicht zu fuͤrchten
hatte; er war daher nicht tollkuͤhn. Er hatte
es empfunden, wie fein die Graͤnzen im Men-
ſchen zwiſchen Empfindungen ſind, die wir Ex-
treme nennen, weil wir ſie uns wie den Nord-
und Suͤdpol gegen uͤber denken: aber zwiſchen gut
und boͤſe, zwiſchen Freund und Feind, dem
Pietiſten und Gotteslaͤſterer, dem Patrioten
und dem Landesverraͤther liegt nur eine Sekun-
de. Cromwell wußte dies, und ſetzte ſeine
Freunde daher in keine Spannung gegen ſich.

Je mehr ich ſeinen Charakter uͤberdenke, je
menſchlicher finde ich ihn; nur daß er ein
großer Menſch, ein leuchtendes Meteor war.
Wer ihn ein Ungeheuer nennt, hat nie uͤber
ihn, oder uͤber ſich ſelber nachgedacht.

Er hatte das Ungluͤck einen einfaͤltigen Sohn
zu haben.




Drey
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0422" n="416"/>
            <p>Cromwell war &#x017F;o glu&#x0364;cklich viele wirkliche<lb/>
Freunde zu finden, ob er gleich keinen lieb-<lb/>
te; er konnte &#x017F;ie zu Aufopferungen auffor-<lb/>
dern, und keiner wagte es, ihn um a&#x0364;hnli-<lb/>
che Opfer zu mahnen, da ihn keiner in &#x017F;ei-<lb/>
ner Gewalt hatte. Alle fu&#x0364;rchteten ihn, und<lb/>
er wußte wie weit er jene nicht zu fu&#x0364;rchten<lb/>
hatte; er war daher nicht tollku&#x0364;hn. Er hatte<lb/>
es empfunden, wie fein die Gra&#x0364;nzen im Men-<lb/>
&#x017F;chen zwi&#x017F;chen Empfindungen &#x017F;ind, die wir Ex-<lb/>
treme nennen, weil wir &#x017F;ie uns wie den Nord-<lb/>
und Su&#x0364;dpol gegen u&#x0364;ber denken: aber zwi&#x017F;chen gut<lb/>
und bo&#x0364;&#x017F;e, zwi&#x017F;chen Freund und Feind, dem<lb/>
Pieti&#x017F;ten und Gottesla&#x0364;&#x017F;terer, dem Patrioten<lb/>
und dem Landesverra&#x0364;ther liegt nur eine Sekun-<lb/>
de. Cromwell wußte dies, und &#x017F;etzte &#x017F;eine<lb/>
Freunde daher in keine Spannung gegen &#x017F;ich.</p><lb/>
            <p>Je mehr ich &#x017F;einen Charakter u&#x0364;berdenke, je<lb/>
men&#x017F;chlicher finde ich ihn; nur daß er ein<lb/>
großer Men&#x017F;ch, ein leuchtendes Meteor war.<lb/>
Wer ihn ein Ungeheuer nennt, hat nie u&#x0364;ber<lb/>
ihn, oder u&#x0364;ber &#x017F;ich &#x017F;elber nachgedacht.</p><lb/>
            <p>Er hatte das Unglu&#x0364;ck einen einfa&#x0364;ltigen Sohn<lb/>
zu haben.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <fw place="bottom" type="catch">Drey</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[416/0422] Cromwell war ſo gluͤcklich viele wirkliche Freunde zu finden, ob er gleich keinen lieb- te; er konnte ſie zu Aufopferungen auffor- dern, und keiner wagte es, ihn um aͤhnli- che Opfer zu mahnen, da ihn keiner in ſei- ner Gewalt hatte. Alle fuͤrchteten ihn, und er wußte wie weit er jene nicht zu fuͤrchten hatte; er war daher nicht tollkuͤhn. Er hatte es empfunden, wie fein die Graͤnzen im Men- ſchen zwiſchen Empfindungen ſind, die wir Ex- treme nennen, weil wir ſie uns wie den Nord- und Suͤdpol gegen uͤber denken: aber zwiſchen gut und boͤſe, zwiſchen Freund und Feind, dem Pietiſten und Gotteslaͤſterer, dem Patrioten und dem Landesverraͤther liegt nur eine Sekun- de. Cromwell wußte dies, und ſetzte ſeine Freunde daher in keine Spannung gegen ſich. Je mehr ich ſeinen Charakter uͤberdenke, je menſchlicher finde ich ihn; nur daß er ein großer Menſch, ein leuchtendes Meteor war. Wer ihn ein Ungeheuer nennt, hat nie uͤber ihn, oder uͤber ſich ſelber nachgedacht. Er hatte das Ungluͤck einen einfaͤltigen Sohn zu haben. Drey

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/422
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/422>, abgerufen am 24.11.2024.