Daß der Wahnsinn immer rascher mich beflügle, Und zum dunkeln Thor der Hölle zügle, Nur Erynnen! giebt mich von den Zweifeln frey!
O Rosa, hier hätten Sie nun von neuem Gelegenheit, über mich zu spotten, aber ich fin- de immer mehr, daß man manches nur in Ver- sen und in einer Art von Wahusinn sagen kön- ne, die prosaische Sprache widerspricht diesem Unsinn in jeder Zeile.
Lesen Sie doch aufmerksam Balders wun- derbaren Brief, der wie der Gesang eines frem- den, verirrten Vogels zu uns herübertönt.
Ich möchte Ihnen gern noch so vieles schrei- ben und kann keine Worte und keine Begriffe finden, es ist alles in mir wüst und verlassen, wie eine Gegend nach einem Erdbeben. --
Ich kann in mir selber keine Ruhe finden. Geben Sie mir nur Eine Ueberzeugung und ich bin zufrieden. Dieser Zweifel ist der Henker, der unsre Seele auf die Folter legt. Andrea mag mir dagegen sagen, was er will: es ist die Arbeit der Danaiden in der Unterwelt, immer wieder von neuem und stets von neuem dieselben Gedanken ohne Erfolg durch unsern Kopf rin- nen zu lassen.
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Daß der Wahnſinn immer raſcher mich beflügle, Und zum dunkeln Thor der Hölle zügle, Nur Erynnen! giebt mich von den Zweifeln frey!
O Roſa, hier haͤtten Sie nun von neuem Gelegenheit, uͤber mich zu ſpotten, aber ich fin- de immer mehr, daß man manches nur in Ver- ſen und in einer Art von Wahuſinn ſagen koͤn- ne, die proſaiſche Sprache widerſpricht dieſem Unſinn in jeder Zeile.
Leſen Sie doch aufmerkſam Balders wun- derbaren Brief, der wie der Geſang eines frem- den, verirrten Vogels zu uns heruͤbertoͤnt.
Ich moͤchte Ihnen gern noch ſo vieles ſchrei- ben und kann keine Worte und keine Begriffe finden, es iſt alles in mir wuͤſt und verlaſſen, wie eine Gegend nach einem Erdbeben. —
Ich kann in mir ſelber keine Ruhe finden. Geben Sie mir nur Eine Ueberzeugung und ich bin zufrieden. Dieſer Zweifel iſt der Henker, der unſre Seele auf die Folter legt. Andrea mag mir dagegen ſagen, was er will: es iſt die Arbeit der Danaiden in der Unterwelt, immer wieder von neuem und ſtets von neuem dieſelben Gedanken ohne Erfolg durch unſern Kopf rin- nen zu laſſen.
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Daß der Wahnſinn immer raſcher mich beflügle,
Und zum dunkeln Thor der Hölle zügle,
Nur Erynnen! giebt mich von den Zweifeln frey!
O Roſa, hier haͤtten Sie nun von neuem
Gelegenheit, uͤber mich zu ſpotten, aber ich fin-
de immer mehr, daß man manches nur in Ver-
ſen und in einer Art von Wahuſinn ſagen koͤn-
ne, die proſaiſche Sprache widerſpricht dieſem
Unſinn in jeder Zeile.
Leſen Sie doch aufmerkſam Balders wun-
derbaren Brief, der wie der Geſang eines frem-
den, verirrten Vogels zu uns heruͤbertoͤnt.
Ich moͤchte Ihnen gern noch ſo vieles ſchrei-
ben und kann keine Worte und keine Begriffe
finden, es iſt alles in mir wuͤſt und verlaſſen,
wie eine Gegend nach einem Erdbeben. —
Ich kann in mir ſelber keine Ruhe finden.
Geben Sie mir nur Eine Ueberzeugung und ich
bin zufrieden. Dieſer Zweifel iſt der Henker,
der unſre Seele auf die Folter legt. Andrea
mag mir dagegen ſagen, was er will: es iſt die
Arbeit der Danaiden in der Unterwelt, immer
wieder von neuem und ſtets von neuem dieſelben
Gedanken ohne Erfolg durch unſern Kopf rin-
nen zu laſſen.
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/361>, abgerufen am 23.11.2024.
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