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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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Denkst Du noch zuweilen an mich, wie ich
an Dich und Deine Thorheiten denke? Es ist
mir jetzt ein neues ruhiges Leben angegangen,
ich weiß es nicht zu sagen, wie sehr ich inner-
lich froh bin. Eine andere stillere Seele ist in
mich eingegangen, und die hat über mich eine
bessere Herrschaft angefangen.

Ich weiß nicht in welchem Waldgebirge ich
wohne, denn ich erkundige mich nie mehr nach
Nahmen. Es sieht um meine Wohnung wun-
derlich und doch schön aus. Felsen stehn hoch
und ernsthaft da, und Ulmen und Pappeln, und
an den senkrechten Wänden hängt der Epheu
dick wie Riesenlocken herunter. Es ist alles
hier um mich lebendig und voll Freundschaft,
die Bäume grüßen mich, wenn ich aufwache,
der Himmel zieht purpurroth über meinen Kopf
weg und seine bunten Lichter spielen um mich
herum und necken mich. -- Ach Freund, wenn
man die Blumen und Pflanzen näher kennen
lernt, was sie dann anders sind, als man ge-
wöhnlich glaubt, sie sind klüger als die Leute
denken, und haben auch mehr Gewalt, als man
meint. Die Menschenwissenschaft kennt nur ei-
nen Theil ihrer geheimen Kraft.


Denkſt Du noch zuweilen an mich, wie ich
an Dich und Deine Thorheiten denke? Es iſt
mir jetzt ein neues ruhiges Leben angegangen,
ich weiß es nicht zu ſagen, wie ſehr ich inner-
lich froh bin. Eine andere ſtillere Seele iſt in
mich eingegangen, und die hat uͤber mich eine
beſſere Herrſchaft angefangen.

Ich weiß nicht in welchem Waldgebirge ich
wohne, denn ich erkundige mich nie mehr nach
Nahmen. Es ſieht um meine Wohnung wun-
derlich und doch ſchoͤn aus. Felſen ſtehn hoch
und ernſthaft da, und Ulmen und Pappeln, und
an den ſenkrechten Waͤnden haͤngt der Epheu
dick wie Rieſenlocken herunter. Es iſt alles
hier um mich lebendig und voll Freundſchaft,
die Baͤume gruͤßen mich, wenn ich aufwache,
der Himmel zieht purpurroth uͤber meinen Kopf
weg und ſeine bunten Lichter ſpielen um mich
herum und necken mich. — Ach Freund, wenn
man die Blumen und Pflanzen naͤher kennen
lernt, was ſie dann anders ſind, als man ge-
woͤhnlich glaubt, ſie ſind kluͤger als die Leute
denken, und haben auch mehr Gewalt, als man
meint. Die Menſchenwiſſenſchaft kennt nur ei-
nen Theil ihrer geheimen Kraft.


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[346/0352] Denkſt Du noch zuweilen an mich, wie ich an Dich und Deine Thorheiten denke? Es iſt mir jetzt ein neues ruhiges Leben angegangen, ich weiß es nicht zu ſagen, wie ſehr ich inner- lich froh bin. Eine andere ſtillere Seele iſt in mich eingegangen, und die hat uͤber mich eine beſſere Herrſchaft angefangen. Ich weiß nicht in welchem Waldgebirge ich wohne, denn ich erkundige mich nie mehr nach Nahmen. Es ſieht um meine Wohnung wun- derlich und doch ſchoͤn aus. Felſen ſtehn hoch und ernſthaft da, und Ulmen und Pappeln, und an den ſenkrechten Waͤnden haͤngt der Epheu dick wie Rieſenlocken herunter. Es iſt alles hier um mich lebendig und voll Freundſchaft, die Baͤume gruͤßen mich, wenn ich aufwache, der Himmel zieht purpurroth uͤber meinen Kopf weg und ſeine bunten Lichter ſpielen um mich herum und necken mich. — Ach Freund, wenn man die Blumen und Pflanzen naͤher kennen lernt, was ſie dann anders ſind, als man ge- woͤhnlich glaubt, ſie ſind kluͤger als die Leute denken, und haben auch mehr Gewalt, als man meint. Die Menſchenwiſſenſchaft kennt nur ei- nen Theil ihrer geheimen Kraft.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/352>, abgerufen am 22.11.2024.