sellschaft plötzlich in einen andern Ton zu stim- men; alle Ideen des menschlichen Geistes stehen ihm ausserordentlich behende zu Gebote, er kann sich in jede Meynung kleiden, und es ist daher schwer, ja beynahe unmöglich, seine wahre von seinen erborgten abzusondern. Ich habe schon oft den Argwohn gehegt, daß er für jeden Men- schen mit dem er umgeht, eine eigne Maske hat, er ist alle Ideen und Stimmungen des Menschen durchlaufen, ein jeder findet sich daher in ihm selber wieder. Seltsam aber ist es, daß ein solcher Mann alles, nur nicht einen ge- wissen Eigensinn verbergen kann, den zu mas- kiren selbst dem Unerfahrensten nur wenig kostet, er verachtet die Menschen im Allgemeinen und jeden insbesondere, und in manchen Stunden ist er schwach genug, daß er sich diese Verach- tung merken läßt, um einen recht vollkomme- nen Triumph zu genießen. Ich glaube, auch Sie werden bald diese Bemerkungen an ihm machen, und dies würde mir dann um so mehr eine Bestätigung seyn, daß ich mich nicht ge- irrt hätte. Es klingt freylich etwas anmaßend, daß ich einen so tiefen Menschen durchschauen und beurtheilen will, indeß kann ich es viel-
ſellſchaft ploͤtzlich in einen andern Ton zu ſtim- men; alle Ideen des menſchlichen Geiſtes ſtehen ihm auſſerordentlich behende zu Gebote, er kann ſich in jede Meynung kleiden, und es iſt daher ſchwer, ja beynahe unmoͤglich, ſeine wahre von ſeinen erborgten abzuſondern. Ich habe ſchon oft den Argwohn gehegt, daß er fuͤr jeden Men- ſchen mit dem er umgeht, eine eigne Maske hat, er iſt alle Ideen und Stimmungen des Menſchen durchlaufen, ein jeder findet ſich daher in ihm ſelber wieder. Seltſam aber iſt es, daß ein ſolcher Mann alles, nur nicht einen ge- wiſſen Eigenſinn verbergen kann, den zu mas- kiren ſelbſt dem Unerfahrenſten nur wenig koſtet, er verachtet die Menſchen im Allgemeinen und jeden insbeſondere, und in manchen Stunden iſt er ſchwach genug, daß er ſich dieſe Verach- tung merken laͤßt, um einen recht vollkomme- nen Triumph zu genießen. Ich glaube, auch Sie werden bald dieſe Bemerkungen an ihm machen, und dies wuͤrde mir dann um ſo mehr eine Beſtaͤtigung ſeyn, daß ich mich nicht ge- irrt haͤtte. Es klingt freylich etwas anmaßend, daß ich einen ſo tiefen Menſchen durchſchauen und beurtheilen will, indeß kann ich es viel-
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ſellſchaft ploͤtzlich in einen andern Ton zu ſtim-
men; alle Ideen des menſchlichen Geiſtes ſtehen
ihm auſſerordentlich behende zu Gebote, er kann
ſich in jede Meynung kleiden, und es iſt daher
ſchwer, ja beynahe unmoͤglich, ſeine wahre von
ſeinen erborgten abzuſondern. Ich habe ſchon
oft den Argwohn gehegt, daß er fuͤr jeden Men-
ſchen mit dem er umgeht, eine eigne Maske
hat, er iſt alle Ideen und Stimmungen des
Menſchen durchlaufen, ein jeder findet ſich daher
in ihm ſelber wieder. Seltſam aber iſt es,
daß ein ſolcher Mann alles, nur nicht einen ge-
wiſſen Eigenſinn verbergen kann, den zu mas-
kiren ſelbſt dem Unerfahrenſten nur wenig koſtet,
er verachtet die Menſchen im Allgemeinen und
jeden insbeſondere, und in manchen Stunden
iſt er ſchwach genug, daß er ſich dieſe Verach-
tung merken laͤßt, um einen recht vollkomme-
nen Triumph zu genießen. Ich glaube, auch
Sie werden bald dieſe Bemerkungen an ihm
machen, und dies wuͤrde mir dann um ſo mehr
eine Beſtaͤtigung ſeyn, daß ich mich nicht ge-
irrt haͤtte. Es klingt freylich etwas anmaßend,
daß ich einen ſo tiefen Menſchen durchſchauen
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/314>, abgerufen am 22.11.2024.
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