te; und doch will sich noch zuweilen ein quälendes dunkles Andenken in mir empor ar- beiten. -- O Rosa, könnte man sich doch in manchen Stunden vor sich selber verbergen! Ach was kann uns nicht betrüben, und uns mit scharfen Empfindungen anfallen, da wir alle so nackt und wehrlos sind? Je mehr man die Menschen lieben möchte, um so mehr wird man mißtrauisch seyn, ob sie es auch verdienen; kei- ner kennt den andern, jede Gesinnung geht ver- larvt durch unsern eigenen Busen: wer ver- mag es, das Edle vom Unedlen zu sondern?
Schon seit lange hatte mir Andrea verspro- chen mich in eine Gesellschaft von Männern zu führen, die sich um ihn, wie um einen Mittel- punkt versammelt haben, und so gleichsam eine Schule bilden; ich brannte, um sie kennen zu lernen. Gestern wurde ich dort eingeführt.
Mir war während der Zeit manches durch den Sinn gegangen, der Argwohn als wenn Andrea das Haupt irgend einer geheimen Ge- sellschaft sey, da man sagt, daß unser Zeitalter von der Wuth besessen sey, auf diese Art selt-
te; und doch will ſich noch zuweilen ein quaͤlendes dunkles Andenken in mir empor ar- beiten. — O Roſa, koͤnnte man ſich doch in manchen Stunden vor ſich ſelber verbergen! Ach was kann uns nicht betruͤben, und uns mit ſcharfen Empfindungen anfallen, da wir alle ſo nackt und wehrlos ſind? Je mehr man die Menſchen lieben moͤchte, um ſo mehr wird man mißtrauiſch ſeyn, ob ſie es auch verdienen; kei- ner kennt den andern, jede Geſinnung geht ver- larvt durch unſern eigenen Buſen: wer ver- mag es, das Edle vom Unedlen zu ſondern?
Schon ſeit lange hatte mir Andrea verſpro- chen mich in eine Geſellſchaft von Maͤnnern zu fuͤhren, die ſich um ihn, wie um einen Mittel- punkt verſammelt haben, und ſo gleichſam eine Schule bilden; ich brannte, um ſie kennen zu lernen. Geſtern wurde ich dort eingefuͤhrt.
Mir war waͤhrend der Zeit manches durch den Sinn gegangen, der Argwohn als wenn Andrea das Haupt irgend einer geheimen Ge- ſellſchaft ſey, da man ſagt, daß unſer Zeitalter von der Wuth beſeſſen ſey, auf dieſe Art ſelt-
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te; und doch will ſich noch zuweilen ein
quaͤlendes dunkles Andenken in mir empor ar-
beiten. — O Roſa, koͤnnte man ſich doch in
manchen Stunden vor ſich ſelber verbergen! Ach
was kann uns nicht betruͤben, und uns mit
ſcharfen Empfindungen anfallen, da wir alle ſo
nackt und wehrlos ſind? Je mehr man die
Menſchen lieben moͤchte, um ſo mehr wird man
mißtrauiſch ſeyn, ob ſie es auch verdienen; kei-
ner kennt den andern, jede Geſinnung geht ver-
larvt durch unſern eigenen Buſen: wer ver-
mag es, das Edle vom Unedlen zu ſondern?
Schon ſeit lange hatte mir Andrea verſpro-
chen mich in eine Geſellſchaft von Maͤnnern zu
fuͤhren, die ſich um ihn, wie um einen Mittel-
punkt verſammelt haben, und ſo gleichſam eine
Schule bilden; ich brannte, um ſie kennen zu
lernen. Geſtern wurde ich dort eingefuͤhrt.
Mir war waͤhrend der Zeit manches durch
den Sinn gegangen, der Argwohn als wenn
Andrea das Haupt irgend einer geheimen Ge-
ſellſchaft ſey, da man ſagt, daß unſer Zeitalter
von der Wuth beſeſſen ſey, auf dieſe Art ſelt-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/308>, abgerufen am 24.11.2024.
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