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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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ergießt, und dem Wanderer durch sein ganzes
Daseyn frisch und erquickend nachfolgt? Hier
muß er dann anfangen sein Glück zu gründen;
Liebe, Freundschaft und Wohlwollen wandeln in
dieser schönen Gegend, und warten nur darauf,
daß er ihre Hand ergreife, um ihn zu begleiten.
Wenn nun der Mensch hindurchgeht und nicht
auf den Gesang der Vögel horcht, die ihn an-
rufen, daß er hier verweilen solle, -- wenn er
wie ein nüchterner Träumer einen öden Pfad
sucht, und der Quelle vorübergeht, -- wenn ihm
Liebe und Freundschaft, alle zarten Empfindun-
gen vergebens nachwinken, und er lieber nach
dem Gekrächze des heisern Raben hinhorcht, --
ach, so verliert er sich endlich in Wüsten von
Sand, in verdorrte Gegenden des Waldes; --
alles hinter ihm ist zugefallen und er kann den
Rückweg nicht entdecken; er erwacht endlich und
fühlt die Einsamkeit um sich her. -- --

Lieber Rosa, was sagen Sie zu diesem Brie-
fe und zu Ihrem Freunde? -- so weit hatte ich
geschrieben, als ich unwillig die Feder nieder-
warf, und im rothen Abendschein durch die
Straßen ging. Bald floß mein Blut schneller
durch meine Adern, als mir so manche von den

ergießt, und dem Wanderer durch ſein ganzes
Daſeyn friſch und erquickend nachfolgt? Hier
muß er dann anfangen ſein Gluͤck zu gruͤnden;
Liebe, Freundſchaft und Wohlwollen wandeln in
dieſer ſchoͤnen Gegend, und warten nur darauf,
daß er ihre Hand ergreife, um ihn zu begleiten.
Wenn nun der Menſch hindurchgeht und nicht
auf den Geſang der Voͤgel horcht, die ihn an-
rufen, daß er hier verweilen ſolle, — wenn er
wie ein nuͤchterner Traͤumer einen oͤden Pfad
ſucht, und der Quelle voruͤbergeht, — wenn ihm
Liebe und Freundſchaft, alle zarten Empfindun-
gen vergebens nachwinken, und er lieber nach
dem Gekraͤchze des heiſern Raben hinhorcht, —
ach, ſo verliert er ſich endlich in Wuͤſten von
Sand, in verdorrte Gegenden des Waldes; —
alles hinter ihm iſt zugefallen und er kann den
Ruͤckweg nicht entdecken; er erwacht endlich und
fuͤhlt die Einſamkeit um ſich her. — —

Lieber Roſa, was ſagen Sie zu dieſem Brie-
fe und zu Ihrem Freunde? — ſo weit hatte ich
geſchrieben, als ich unwillig die Feder nieder-
warf, und im rothen Abendſchein durch die
Straßen ging. Bald floß mein Blut ſchneller
durch meine Adern, als mir ſo manche von den

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[24/0030] ergießt, und dem Wanderer durch ſein ganzes Daſeyn friſch und erquickend nachfolgt? Hier muß er dann anfangen ſein Gluͤck zu gruͤnden; Liebe, Freundſchaft und Wohlwollen wandeln in dieſer ſchoͤnen Gegend, und warten nur darauf, daß er ihre Hand ergreife, um ihn zu begleiten. Wenn nun der Menſch hindurchgeht und nicht auf den Geſang der Voͤgel horcht, die ihn an- rufen, daß er hier verweilen ſolle, — wenn er wie ein nuͤchterner Traͤumer einen oͤden Pfad ſucht, und der Quelle voruͤbergeht, — wenn ihm Liebe und Freundſchaft, alle zarten Empfindun- gen vergebens nachwinken, und er lieber nach dem Gekraͤchze des heiſern Raben hinhorcht, — ach, ſo verliert er ſich endlich in Wuͤſten von Sand, in verdorrte Gegenden des Waldes; — alles hinter ihm iſt zugefallen und er kann den Ruͤckweg nicht entdecken; er erwacht endlich und fuͤhlt die Einſamkeit um ſich her. — — Lieber Roſa, was ſagen Sie zu dieſem Brie- fe und zu Ihrem Freunde? — ſo weit hatte ich geſchrieben, als ich unwillig die Feder nieder- warf, und im rothen Abendſchein durch die Straßen ging. Bald floß mein Blut ſchneller durch meine Adern, als mir ſo manche von den

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/30>, abgerufen am 24.11.2024.