waren auf eine wunderbare Weise dargestellt, ich ahndete eine Menge von trüben und fröh- lichen Empfindungen gleichsam im voraus.
Es fällt mir oft ein, warum ich gerade so und nicht anders empfinde, und warum ich vor- züglich auf diese Frage geführt bin, die mir ge- wiß in keiner andern Seelenstimmung beyfallen würde. Die Vorstellung unsrer Individualität ist die seltsamste, die uns überraschen kann.
Ich bin äußerst begierig, nun endlich den wunderbaren Mann kennen zu lernen, von dem wir fast täglich gesprochen haben. Ich kann mir sehr gut einen Menschen vorstellen, der ei- ne unumschränkte Gewalt über alle Gemüther hat, die ihn umgeben; aber es muß das inter- essanteste Studium seyn, einen solchen näher kennen zu lernen, selbst zu fühlen, auf welche Art er an unsern Ideen und Gefühlen reist, und sich so gleichsam zu ihm hinaufzuheben, in dem wir lernen, wie er auf uns würkt, und er begreift, wie er auf uns würken kann. Ich wünsche seine Bekanntschaft, und fürchte mich doch vor unsrer ersten Unterredung. Sie haben gewiß viel zu freundschaftlich das Wort geführt, und er findet mich vielleicht einfältig und abge
waren auf eine wunderbare Weiſe dargeſtellt, ich ahndete eine Menge von truͤben und froͤh- lichen Empfindungen gleichſam im voraus.
Es faͤllt mir oft ein, warum ich gerade ſo und nicht anders empfinde, und warum ich vor- zuͤglich auf dieſe Frage gefuͤhrt bin, die mir ge- wiß in keiner andern Seelenſtimmung beyfallen wuͤrde. Die Vorſtellung unſrer Individualitaͤt iſt die ſeltſamſte, die uns uͤberraſchen kann.
Ich bin aͤußerſt begierig, nun endlich den wunderbaren Mann kennen zu lernen, von dem wir faſt taͤglich geſprochen haben. Ich kann mir ſehr gut einen Menſchen vorſtellen, der ei- ne unumſchraͤnkte Gewalt uͤber alle Gemuͤther hat, die ihn umgeben; aber es muß das inter- eſſanteſte Studium ſeyn, einen ſolchen naͤher kennen zu lernen, ſelbſt zu fuͤhlen, auf welche Art er an unſern Ideen und Gefuͤhlen reiſt, und ſich ſo gleichſam zu ihm hinaufzuheben, in dem wir lernen, wie er auf uns wuͤrkt, und er begreift, wie er auf uns wuͤrken kann. Ich wuͤnſche ſeine Bekanntſchaft, und fuͤrchte mich doch vor unſrer erſten Unterredung. Sie haben gewiß viel zu freundſchaftlich das Wort gefuͤhrt, und er findet mich vielleicht einfaͤltig und abge
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0290"n="284"/>
waren auf eine <choice><sic>wnuderbare</sic><corr>wunderbare</corr></choice> Weiſe dargeſtellt,<lb/>
ich ahndete eine Menge von truͤben und froͤh-<lb/>
lichen Empfindungen gleichſam im voraus.</p><lb/><p>Es faͤllt mir oft ein, warum ich gerade ſo<lb/>
und nicht anders empfinde, und warum ich vor-<lb/>
zuͤglich auf dieſe Frage gefuͤhrt bin, die mir ge-<lb/>
wiß in keiner andern Seelenſtimmung beyfallen<lb/>
wuͤrde. Die Vorſtellung unſrer Individualitaͤt<lb/>
iſt die ſeltſamſte, die uns uͤberraſchen kann.</p><lb/><p>Ich bin aͤußerſt begierig, nun endlich den<lb/>
wunderbaren Mann kennen zu lernen, von dem<lb/>
wir faſt taͤglich geſprochen haben. Ich kann<lb/>
mir ſehr gut einen Menſchen vorſtellen, der ei-<lb/>
ne unumſchraͤnkte Gewalt uͤber alle Gemuͤther<lb/>
hat, die ihn umgeben; aber es muß das inter-<lb/>
eſſanteſte Studium ſeyn, einen ſolchen naͤher<lb/>
kennen zu lernen, ſelbſt zu fuͤhlen, auf welche<lb/>
Art er an unſern Ideen und Gefuͤhlen reiſt,<lb/>
und ſich ſo gleichſam zu ihm hinaufzuheben, in<lb/>
dem wir lernen, wie er auf uns wuͤrkt, und er<lb/>
begreift, wie er auf uns wuͤrken kann. Ich<lb/>
wuͤnſche ſeine Bekanntſchaft, und fuͤrchte mich<lb/>
doch vor unſrer erſten Unterredung. Sie haben<lb/>
gewiß viel zu freundſchaftlich das Wort gefuͤhrt,<lb/>
und er findet mich vielleicht einfaͤltig und abge<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[284/0290]
waren auf eine wunderbare Weiſe dargeſtellt,
ich ahndete eine Menge von truͤben und froͤh-
lichen Empfindungen gleichſam im voraus.
Es faͤllt mir oft ein, warum ich gerade ſo
und nicht anders empfinde, und warum ich vor-
zuͤglich auf dieſe Frage gefuͤhrt bin, die mir ge-
wiß in keiner andern Seelenſtimmung beyfallen
wuͤrde. Die Vorſtellung unſrer Individualitaͤt
iſt die ſeltſamſte, die uns uͤberraſchen kann.
Ich bin aͤußerſt begierig, nun endlich den
wunderbaren Mann kennen zu lernen, von dem
wir faſt taͤglich geſprochen haben. Ich kann
mir ſehr gut einen Menſchen vorſtellen, der ei-
ne unumſchraͤnkte Gewalt uͤber alle Gemuͤther
hat, die ihn umgeben; aber es muß das inter-
eſſanteſte Studium ſeyn, einen ſolchen naͤher
kennen zu lernen, ſelbſt zu fuͤhlen, auf welche
Art er an unſern Ideen und Gefuͤhlen reiſt,
und ſich ſo gleichſam zu ihm hinaufzuheben, in
dem wir lernen, wie er auf uns wuͤrkt, und er
begreift, wie er auf uns wuͤrken kann. Ich
wuͤnſche ſeine Bekanntſchaft, und fuͤrchte mich
doch vor unſrer erſten Unterredung. Sie haben
gewiß viel zu freundſchaftlich das Wort gefuͤhrt,
und er findet mich vielleicht einfaͤltig und abge
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/290>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.