Warum schwärmen Sie schon wieder in Nea- pel herum und verlassen Ihren Freund? -- Ich mag nicht Ihr Begleiter seyn, weil ich Baldern fürchte, sein Anblick und seine Art des Wahn- sinns schneiden durch mein Herz. Ich fühle mich hier in manchen Stunden ausserordentlich einsam, ich gehe aus, um Sie zu sehen und ver- gesse, daß Sie nicht in Rom sind. Ich habe so eben einen Brief an meinen Freund Eduard gesiegelt und die Thränen stehen mir noch heiß in den Augen; alles, was ich je empfand, kam ungestüm, wie ein Waldstrom in meine Seele zurück, ich unterdrückte dis Gefühl, das immer heftiger in mir emporquoll und schrieb endlich in einer Angst, die zur Wuth ward, ich trotzte mir selber und ergab mich einer blinden Sucht zu übertreiben, mußte aber den Brief plötzlich abbrechen, weil die Thränen endlich ihrer Fes- seln ledig wurden und ich laut schluchzend und klagend in meinen Sessel sank. Wie aus den
3. William Lovell an Roſa.
Rom.
Warum ſchwaͤrmen Sie ſchon wieder in Nea- pel herum und verlaſſen Ihren Freund? — Ich mag nicht Ihr Begleiter ſeyn, weil ich Baldern fuͤrchte, ſein Anblick und ſeine Art des Wahn- ſinns ſchneiden durch mein Herz. Ich fuͤhle mich hier in manchen Stunden auſſerordentlich einſam, ich gehe aus, um Sie zu ſehen und ver- geſſe, daß Sie nicht in Rom ſind. Ich habe ſo eben einen Brief an meinen Freund Eduard geſiegelt und die Thraͤnen ſtehen mir noch heiß in den Augen; alles, was ich je empfand, kam ungeſtuͤm, wie ein Waldſtrom in meine Seele zuruͤck, ich unterdruͤckte dis Gefuͤhl, das immer heftiger in mir emporquoll und ſchrieb endlich in einer Angſt, die zur Wuth ward, ich trotzte mir ſelber und ergab mich einer blinden Sucht zu uͤbertreiben, mußte aber den Brief ploͤtzlich abbrechen, weil die Thraͤnen endlich ihrer Feſ- ſeln ledig wurden und ich laut ſchluchzend und klagend in meinen Seſſel ſank. Wie aus den
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3.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Warum ſchwaͤrmen Sie ſchon wieder in Nea-
pel herum und verlaſſen Ihren Freund? — Ich
mag nicht Ihr Begleiter ſeyn, weil ich Baldern
fuͤrchte, ſein Anblick und ſeine Art des Wahn-
ſinns ſchneiden durch mein Herz. Ich fuͤhle
mich hier in manchen Stunden auſſerordentlich
einſam, ich gehe aus, um Sie zu ſehen und ver-
geſſe, daß Sie nicht in Rom ſind. Ich habe
ſo eben einen Brief an meinen Freund Eduard
geſiegelt und die Thraͤnen ſtehen mir noch heiß
in den Augen; alles, was ich je empfand, kam
ungeſtuͤm, wie ein Waldſtrom in meine Seele
zuruͤck, ich unterdruͤckte dis Gefuͤhl, das immer
heftiger in mir emporquoll und ſchrieb endlich
in einer Angſt, die zur Wuth ward, ich trotzte
mir ſelber und ergab mich einer blinden Sucht
zu uͤbertreiben, mußte aber den Brief ploͤtzlich
abbrechen, weil die Thraͤnen endlich ihrer Feſ-
ſeln ledig wurden und ich laut ſchluchzend und
klagend in meinen Seſſel ſank. Wie aus den
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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