wort, da ich es innig fühle, daß er mich ganz und auf ewig von Eduard getrennt hat? Eine Frau, die ihren Mann geliebt hat, kann den Scheidebrief nicht mit einer tieferen Rührung betrachten, als mit der ich diesen Brief an- sehe. -- Oder, sagen Sie, Mortimer, sollte es möglich seyn, daß dies nur ein Gemählde des Menschen sey, und daß jeder nur die Seiten zeige, die der Zufall bey ihm herausgetrieben hat? -- Aber nein, es ist nicht möglich, könnt' ich mich davon überzeugen, o so würd' ich mich still und beschämt niedersetzen, und heiße Thrä- nen darüber vergießen, daß ich ein Mensch bin, und dann sterben. Aber nein, es ist nicht mög- lich, kein ähnliches Gefühl hat sich je in mir geregt, nein, die Menschen sind besser, denn ich bin besser, und welche Anmaßung, daß ich eine Ausnahme vom Geschlechte seyn sollte? -- Und doch will immer noch die Liebe gegen Lo- vell wieder zu mir zurück! -- Ich bin voller Schmerzen und Unruhe; leben Sie recht wohl; den besten Gruß an Ihre Gattinn.
wort, da ich es innig fuͤhle, daß er mich ganz und auf ewig von Eduard getrennt hat? Eine Frau, die ihren Mann geliebt hat, kann den Scheidebrief nicht mit einer tieferen Ruͤhrung betrachten, als mit der ich dieſen Brief an- ſehe. — Oder, ſagen Sie, Mortimer, ſollte es moͤglich ſeyn, daß dies nur ein Gemaͤhlde des Menſchen ſey, und daß jeder nur die Seiten zeige, die der Zufall bey ihm herausgetrieben hat? — Aber nein, es iſt nicht moͤglich, koͤnnt’ ich mich davon uͤberzeugen, o ſo wuͤrd’ ich mich ſtill und beſchaͤmt niederſetzen, und heiße Thraͤ- nen daruͤber vergießen, daß ich ein Menſch bin, und dann ſterben. Aber nein, es iſt nicht moͤg- lich, kein aͤhnliches Gefuͤhl hat ſich je in mir geregt, nein, die Menſchen ſind beſſer, denn ich bin beſſer, und welche Anmaßung, daß ich eine Ausnahme vom Geſchlechte ſeyn ſollte? — Und doch will immer noch die Liebe gegen Lo- vell wieder zu mir zuruͤck! — Ich bin voller Schmerzen und Unruhe; leben Sie recht wohl; den beſten Gruß an Ihre Gattinn.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0261"n="255"/>
wort, da ich es innig fuͤhle, daß er mich ganz<lb/>
und auf ewig von Eduard getrennt hat? Eine<lb/>
Frau, die ihren Mann geliebt hat, kann den<lb/>
Scheidebrief nicht mit einer tieferen Ruͤhrung<lb/>
betrachten, als mit der ich dieſen Brief an-<lb/>ſehe. — Oder, ſagen Sie, Mortimer, ſollte es<lb/>
moͤglich ſeyn, daß dies nur ein Gemaͤhlde des<lb/>
Menſchen ſey, und daß jeder nur die Seiten<lb/>
zeige, die der Zufall bey ihm herausgetrieben<lb/>
hat? — Aber nein, es iſt nicht moͤglich, koͤnnt’<lb/>
ich mich davon uͤberzeugen, o ſo wuͤrd’ ich mich<lb/>ſtill und beſchaͤmt niederſetzen, und heiße Thraͤ-<lb/>
nen daruͤber vergießen, daß ich ein Menſch bin,<lb/>
und dann ſterben. Aber nein, es iſt nicht moͤg-<lb/>
lich, kein aͤhnliches Gefuͤhl hat ſich je in mir<lb/>
geregt, nein, die Menſchen ſind beſſer, denn<lb/>
ich bin beſſer, und welche Anmaßung, daß ich<lb/>
eine Ausnahme vom Geſchlechte ſeyn ſollte? —<lb/>
Und doch will immer noch die Liebe gegen Lo-<lb/>
vell wieder zu mir zuruͤck! — Ich bin voller<lb/>
Schmerzen und Unruhe; leben Sie recht wohl;<lb/>
den beſten Gruß an Ihre Gattinn.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[255/0261]
wort, da ich es innig fuͤhle, daß er mich ganz
und auf ewig von Eduard getrennt hat? Eine
Frau, die ihren Mann geliebt hat, kann den
Scheidebrief nicht mit einer tieferen Ruͤhrung
betrachten, als mit der ich dieſen Brief an-
ſehe. — Oder, ſagen Sie, Mortimer, ſollte es
moͤglich ſeyn, daß dies nur ein Gemaͤhlde des
Menſchen ſey, und daß jeder nur die Seiten
zeige, die der Zufall bey ihm herausgetrieben
hat? — Aber nein, es iſt nicht moͤglich, koͤnnt’
ich mich davon uͤberzeugen, o ſo wuͤrd’ ich mich
ſtill und beſchaͤmt niederſetzen, und heiße Thraͤ-
nen daruͤber vergießen, daß ich ein Menſch bin,
und dann ſterben. Aber nein, es iſt nicht moͤg-
lich, kein aͤhnliches Gefuͤhl hat ſich je in mir
geregt, nein, die Menſchen ſind beſſer, denn
ich bin beſſer, und welche Anmaßung, daß ich
eine Ausnahme vom Geſchlechte ſeyn ſollte? —
Und doch will immer noch die Liebe gegen Lo-
vell wieder zu mir zuruͤck! — Ich bin voller
Schmerzen und Unruhe; leben Sie recht wohl;
den beſten Gruß an Ihre Gattinn.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/261>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.