andern versetzt; dann könnt' ich Dich sehn und an Deinen Hals fliegen. Aber es ist unrecht, daß Du mir nicht schreibst; wodurch hab' ich das um Dich verdient? -- Kannst Du noch immer jenes Briefes wegen auf Deinen Vater zürnen? -- Ich habe Dich schon um Verzei- hung gebeten, und will es noch einmal thun. --
Mir sind die Schilderungen der Schlachten nicht fürchterlich, die sonst so leicht unsre Phan- tasie erschrecken. Hier fällt ein Mann zur Rech- ten, dort zur Linken, streifende Kugeln quet- schen ganze Glieder nieder, Köpfe und blutbe- sprützte Arme liegen umher, und der Soldat marschirt mit geradem Sinn den Gefahren ent- gegen, sieht nicht nach seinem Kameraden links, nicht nach seinem gefallenen Bruder zur Rech- ten, tritt auf den Leichnam, der vor ihm liegt. -- Ich kann diesen Muth nicht bewundern, denn thun wir alle etwas anders im gewöhnlichen Leben? -- Freunde sterben zur Rechten und zur Linken, und wir gehn dreist und grade fort, als würde uns der Tod niemals ereilen: wir erschrecken nicht vor dem Gifte, das diesen und
andern verſetzt; dann koͤnnt’ ich Dich ſehn und an Deinen Hals fliegen. Aber es iſt unrecht, daß Du mir nicht ſchreibſt; wodurch hab’ ich das um Dich verdient? — Kannſt Du noch immer jenes Briefes wegen auf Deinen Vater zuͤrnen? — Ich habe Dich ſchon um Verzei- hung gebeten, und will es noch einmal thun. —
Mir ſind die Schilderungen der Schlachten nicht fuͤrchterlich, die ſonſt ſo leicht unſre Phan- taſie erſchrecken. Hier faͤllt ein Mann zur Rech- ten, dort zur Linken, ſtreifende Kugeln quet- ſchen ganze Glieder nieder, Koͤpfe und blutbe- ſpruͤtzte Arme liegen umher, und der Soldat marſchirt mit geradem Sinn den Gefahren ent- gegen, ſieht nicht nach ſeinem Kameraden links, nicht nach ſeinem gefallenen Bruder zur Rech- ten, tritt auf den Leichnam, der vor ihm liegt. — Ich kann dieſen Muth nicht bewundern, denn thun wir alle etwas anders im gewoͤhnlichen Leben? — Freunde ſterben zur Rechten und zur Linken, und wir gehn dreiſt und grade fort, als wuͤrde uns der Tod niemals ereilen: wir erſchrecken nicht vor dem Gifte, das dieſen und
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andern verſetzt; dann koͤnnt’ ich Dich ſehn und
an Deinen Hals fliegen. Aber es iſt unrecht,
daß Du mir nicht ſchreibſt; wodurch hab’ ich
das um Dich verdient? — Kannſt Du noch
immer jenes Briefes wegen auf Deinen Vater
zuͤrnen? — Ich habe Dich ſchon um Verzei-
hung gebeten, und will es noch einmal thun. —
Mir ſind die Schilderungen der Schlachten
nicht fuͤrchterlich, die ſonſt ſo leicht unſre Phan-
taſie erſchrecken. Hier faͤllt ein Mann zur Rech-
ten, dort zur Linken, ſtreifende Kugeln quet-
ſchen ganze Glieder nieder, Koͤpfe und blutbe-
ſpruͤtzte Arme liegen umher, und der Soldat
marſchirt mit geradem Sinn den Gefahren ent-
gegen, ſieht nicht nach ſeinem Kameraden links,
nicht nach ſeinem gefallenen Bruder zur Rech-
ten, tritt auf den Leichnam, der vor ihm liegt. —
Ich kann dieſen Muth nicht bewundern, denn
thun wir alle etwas anders im gewoͤhnlichen
Leben? — Freunde ſterben zur Rechten und zur
Linken, und wir gehn dreiſt und grade fort,
als wuͤrde uns der Tod niemals ereilen: wir
erſchrecken nicht vor dem Gifte, das dieſen und
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/235>, abgerufen am 23.11.2024.
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