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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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einen Dolch und stieß nach ihm, verfehlte aber,
und streifte ihn bis zur Hälfte hinunter. --
Ich stieg wieder zu Pferbe und jagte davon,
indem ich immer noch seine Stimme hinter mir,
bald lauter, bald schwächer hörte. -- Es war
ganz unwillkührlich geschehn, und wie leicht
hätte es kommen können, daß ich ihn ermordet
hätte! --

Die Nacht und der heutige Tag sind mir
in einem ununterbrochenen Schwindel verflossen.
Ich erwarte den Schurken in jeder Minute. --
Ich hätte vielleicht einen Handel mit ihm tref-
fen können, daß er weiter keine Ansprüche auf
Rosalinen machen solle, wenn ich bey kaltem
Blute gewesen wäre; ich weiß nun nicht, wie
alles sich endigen wird. -- O ich bin böse auf
mich selbst; ich muß es Ihnen gestehn, Rosa,
ich freue mich inniglich, daß mir der tödtliche
Streich mißglückte, ich fühle es, daß ich ewig
diese rasche That bereuen würde. Sagen Sie
mir dagegen, was Sie wollen, es empört sich
das Gefühl, die Menschen, so wie die leblosen
Gegenstände zu gebrauchen, und sie nur für Mit-
tel anzusehn, uns selbst froh zu machen.

Wäre Pietro nicht dazwischen gekommen, so

einen Dolch und ſtieß nach ihm, verfehlte aber,
und ſtreifte ihn bis zur Haͤlfte hinunter. —
Ich ſtieg wieder zu Pferbe und jagte davon,
indem ich immer noch ſeine Stimme hinter mir,
bald lauter, bald ſchwaͤcher hoͤrte. — Es war
ganz unwillkuͤhrlich geſchehn, und wie leicht
haͤtte es kommen koͤnnen, daß ich ihn ermordet
haͤtte! —

Die Nacht und der heutige Tag ſind mir
in einem ununterbrochenen Schwindel verfloſſen.
Ich erwarte den Schurken in jeder Minute. —
Ich haͤtte vielleicht einen Handel mit ihm tref-
fen koͤnnen, daß er weiter keine Anſpruͤche auf
Roſalinen machen ſolle, wenn ich bey kaltem
Blute geweſen waͤre; ich weiß nun nicht, wie
alles ſich endigen wird. — O ich bin boͤſe auf
mich ſelbſt; ich muß es Ihnen geſtehn, Roſa,
ich freue mich inniglich, daß mir der toͤdtliche
Streich mißgluͤckte, ich fuͤhle es, daß ich ewig
dieſe raſche That bereuen wuͤrde. Sagen Sie
mir dagegen, was Sie wollen, es empoͤrt ſich
das Gefuͤhl, die Menſchen, ſo wie die lebloſen
Gegenſtaͤnde zu gebrauchen, und ſie nur fuͤr Mit-
tel anzuſehn, uns ſelbſt froh zu machen.

Waͤre Pietro nicht dazwiſchen gekommen, ſo

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[182/0188] einen Dolch und ſtieß nach ihm, verfehlte aber, und ſtreifte ihn bis zur Haͤlfte hinunter. — Ich ſtieg wieder zu Pferbe und jagte davon, indem ich immer noch ſeine Stimme hinter mir, bald lauter, bald ſchwaͤcher hoͤrte. — Es war ganz unwillkuͤhrlich geſchehn, und wie leicht haͤtte es kommen koͤnnen, daß ich ihn ermordet haͤtte! — Die Nacht und der heutige Tag ſind mir in einem ununterbrochenen Schwindel verfloſſen. Ich erwarte den Schurken in jeder Minute. — Ich haͤtte vielleicht einen Handel mit ihm tref- fen koͤnnen, daß er weiter keine Anſpruͤche auf Roſalinen machen ſolle, wenn ich bey kaltem Blute geweſen waͤre; ich weiß nun nicht, wie alles ſich endigen wird. — O ich bin boͤſe auf mich ſelbſt; ich muß es Ihnen geſtehn, Roſa, ich freue mich inniglich, daß mir der toͤdtliche Streich mißgluͤckte, ich fuͤhle es, daß ich ewig dieſe raſche That bereuen wuͤrde. Sagen Sie mir dagegen, was Sie wollen, es empoͤrt ſich das Gefuͤhl, die Menſchen, ſo wie die lebloſen Gegenſtaͤnde zu gebrauchen, und ſie nur fuͤr Mit- tel anzuſehn, uns ſelbſt froh zu machen. Waͤre Pietro nicht dazwiſchen gekommen, ſo

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/188>, abgerufen am 24.11.2024.