Es ist um rasend zu werden! Alles ist dahin! Alle meine Ruhe, alle meine Liebe, ist gänzlich, durchaus verlohren! Ich kenne mich kaum wie- der, ich verachte und hasse mich selbst, ob ich gleich nur auf den Zufall fluchen sollte. Den- ken Sie nur selbst, alles war bestimmt und fest gemacht, Rosaline war so zärtlich gegen mich, wie sie noch nie gewesen ist, sie war völlig da- von überzeugt, daß ich sie heirathen wollte, und bey Gott ich hätt' es auch gethan; sie hatte mir die gestrige Nacht zugesagt, und ich erwar- tete mit Ungeduld die Adendröthe; tausend Ideen gingen durch meinen träumenden Sinn, ich konnte mir meine Phantasien und Hoffnungen gar nicht als würklich denken, -- o und sie sind es auch nun nicht geworden! Ich stehe hier wie ein Schulknabe, der seinen Lehrer fürchtet, ich bin beschämt und verworfen: gestern kam noch bey Tische ein alter Mann als Bothe, der Pie- tro's, des armseligen Fischers, des Bräutigams
47. William Lovell an Roſa.
Rom.
Es iſt um raſend zu werden! Alles iſt dahin! Alle meine Ruhe, alle meine Liebe, iſt gaͤnzlich, durchaus verlohren! Ich kenne mich kaum wie- der, ich verachte und haſſe mich ſelbſt, ob ich gleich nur auf den Zufall fluchen ſollte. Den- ken Sie nur ſelbſt, alles war beſtimmt und feſt gemacht, Roſaline war ſo zaͤrtlich gegen mich, wie ſie noch nie geweſen iſt, ſie war voͤllig da- von uͤberzeugt, daß ich ſie heirathen wollte, und bey Gott ich haͤtt’ es auch gethan; ſie hatte mir die geſtrige Nacht zugeſagt, und ich erwar- tete mit Ungeduld die Adendroͤthe; tauſend Ideen gingen durch meinen traͤumenden Sinn, ich konnte mir meine Phantaſien und Hoffnungen gar nicht als wuͤrklich denken, — o und ſie ſind es auch nun nicht geworden! Ich ſtehe hier wie ein Schulknabe, der ſeinen Lehrer fuͤrchtet, ich bin beſchaͤmt und verworfen: geſtern kam noch bey Tiſche ein alter Mann als Bothe, der Pie- tro’s, des armſeligen Fiſchers, des Braͤutigams
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47.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Es iſt um raſend zu werden! Alles iſt dahin!
Alle meine Ruhe, alle meine Liebe, iſt gaͤnzlich,
durchaus verlohren! Ich kenne mich kaum wie-
der, ich verachte und haſſe mich ſelbſt, ob ich
gleich nur auf den Zufall fluchen ſollte. Den-
ken Sie nur ſelbſt, alles war beſtimmt und feſt
gemacht, Roſaline war ſo zaͤrtlich gegen mich,
wie ſie noch nie geweſen iſt, ſie war voͤllig da-
von uͤberzeugt, daß ich ſie heirathen wollte, und
bey Gott ich haͤtt’ es auch gethan; ſie hatte
mir die geſtrige Nacht zugeſagt, und ich erwar-
tete mit Ungeduld die Adendroͤthe; tauſend Ideen
gingen durch meinen traͤumenden Sinn, ich
konnte mir meine Phantaſien und Hoffnungen
gar nicht als wuͤrklich denken, — o und ſie ſind
es auch nun nicht geworden! Ich ſtehe hier wie
ein Schulknabe, der ſeinen Lehrer fuͤrchtet, ich
bin beſchaͤmt und verworfen: geſtern kam noch
bey Tiſche ein alter Mann als Bothe, der Pie-
tro’s, des armſeligen Fiſchers, des Braͤutigams
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/181>, abgerufen am 22.12.2024.
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