es uns scheint, als machten sie unsern Werth aus. Jede Illusion aber, die kein Vergnügen macht, muß man emsig vermeiden. Man sollte sich überhaupt von Jugend auf daran gewöhnen, die äußern Gegenstände um sich nur als Spie- gel zu betrachten, in denen man sich selber wahr- nimmt, um in keinem Augenblicke des Lebens von ihnen abzuhängen. Je mehr alles um uns her von uns abhängt, um so sklavischer es uns gehorcht, um so höher steht unser Verstand. Denn darin kann die Vernunft des Menschen unmöglich bestehen, seltsame Dinge zu erfinden, oder zu begreifen, sondern damit er durch sie ihm gleichgeschaffne Wesen nach seiner Willkühr lenke. Auf die Art kann der kluge Mensch Al- len gebieten, mit denen er nahe oder fern in Verbindung sieht. Die Herrschaft des Verstan- des ist die unumschränkteste, und Rosaline wird gewiß bald unter dem Gebote meines verständi- gen Freundes stehn, wenn er sich nicht von ihr beherrschen läßt, und selbst seine Vernunft un- terdrückt. Ich wünsche Ihnen Glück, um nie in diesen Fall zu kommen.
es uns ſcheint, als machten ſie unſern Werth aus. Jede Illuſion aber, die kein Vergnuͤgen macht, muß man emſig vermeiden. Man ſollte ſich uͤberhaupt von Jugend auf daran gewoͤhnen, die aͤußern Gegenſtaͤnde um ſich nur als Spie- gel zu betrachten, in denen man ſich ſelber wahr- nimmt, um in keinem Augenblicke des Lebens von ihnen abzuhaͤngen. Je mehr alles um uns her von uns abhaͤngt, um ſo ſklaviſcher es uns gehorcht, um ſo hoͤher ſteht unſer Verſtand. Denn darin kann die Vernunft des Menſchen unmoͤglich beſtehen, ſeltſame Dinge zu erfinden, oder zu begreifen, ſondern damit er durch ſie ihm gleichgeſchaffne Weſen nach ſeiner Willkuͤhr lenke. Auf die Art kann der kluge Menſch Al- len gebieten, mit denen er nahe oder fern in Verbindung ſieht. Die Herrſchaft des Verſtan- des iſt die unumſchraͤnkteſte, und Roſaline wird gewiß bald unter dem Gebote meines verſtaͤndi- gen Freundes ſtehn, wenn er ſich nicht von ihr beherrſchen laͤßt, und ſelbſt ſeine Vernunft un- terdruͤckt. Ich wuͤnſche Ihnen Gluͤck, um nie in dieſen Fall zu kommen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0148"n="142"/>
es uns ſcheint, als machten ſie unſern Werth<lb/>
aus. Jede Illuſion aber, die kein Vergnuͤgen<lb/>
macht, muß man emſig vermeiden. Man ſollte<lb/>ſich uͤberhaupt von Jugend auf daran gewoͤhnen,<lb/>
die aͤußern Gegenſtaͤnde um ſich nur als Spie-<lb/>
gel zu betrachten, in denen man ſich ſelber wahr-<lb/>
nimmt, um in keinem Augenblicke des Lebens<lb/>
von ihnen abzuhaͤngen. Je mehr alles um uns<lb/>
her von uns abhaͤngt, um ſo ſklaviſcher es uns<lb/>
gehorcht, um ſo hoͤher ſteht unſer Verſtand.<lb/>
Denn darin kann die Vernunft des Menſchen<lb/>
unmoͤglich beſtehen, ſeltſame Dinge zu erfinden,<lb/>
oder zu begreifen, ſondern damit er durch ſie<lb/>
ihm gleichgeſchaffne Weſen nach ſeiner Willkuͤhr<lb/>
lenke. Auf die Art kann der kluge Menſch Al-<lb/>
len gebieten, mit denen er nahe oder fern in<lb/>
Verbindung ſieht. Die Herrſchaft des Verſtan-<lb/>
des iſt die unumſchraͤnkteſte, und Roſaline wird<lb/>
gewiß bald unter dem Gebote meines verſtaͤndi-<lb/>
gen Freundes ſtehn, wenn er ſich nicht von ihr<lb/>
beherrſchen laͤßt, und ſelbſt ſeine Vernunft un-<lb/>
terdruͤckt. Ich wuͤnſche Ihnen Gluͤck, um nie<lb/>
in dieſen Fall zu kommen.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[142/0148]
es uns ſcheint, als machten ſie unſern Werth
aus. Jede Illuſion aber, die kein Vergnuͤgen
macht, muß man emſig vermeiden. Man ſollte
ſich uͤberhaupt von Jugend auf daran gewoͤhnen,
die aͤußern Gegenſtaͤnde um ſich nur als Spie-
gel zu betrachten, in denen man ſich ſelber wahr-
nimmt, um in keinem Augenblicke des Lebens
von ihnen abzuhaͤngen. Je mehr alles um uns
her von uns abhaͤngt, um ſo ſklaviſcher es uns
gehorcht, um ſo hoͤher ſteht unſer Verſtand.
Denn darin kann die Vernunft des Menſchen
unmoͤglich beſtehen, ſeltſame Dinge zu erfinden,
oder zu begreifen, ſondern damit er durch ſie
ihm gleichgeſchaffne Weſen nach ſeiner Willkuͤhr
lenke. Auf die Art kann der kluge Menſch Al-
len gebieten, mit denen er nahe oder fern in
Verbindung ſieht. Die Herrſchaft des Verſtan-
des iſt die unumſchraͤnkteſte, und Roſaline wird
gewiß bald unter dem Gebote meines verſtaͤndi-
gen Freundes ſtehn, wenn er ſich nicht von ihr
beherrſchen laͤßt, und ſelbſt ſeine Vernunft un-
terdruͤckt. Ich wuͤnſche Ihnen Gluͤck, um nie
in dieſen Fall zu kommen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/148>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.