erwärmt, fast allenthalben treffen sich unsre verwandten Geister in einem Mittelpunkte, ohne daß doch unsrer Natur jene Nüancen mangeln, die, wie man behauptet, in der Freundschaft und Liebe unentbehrlich sind, um beide dauer- haft zu machen. -- Ich habe nicht, wie er, die- sen tiefen Hang zur düstern Schwärmerei, diese Kindlichkeit, mit der er sich an jeden Charakter schmiegt, den er liebt; ich bin kälter und zu- rückgezogener, meine Phantasie ist mehr in sü- ßen, lieblichen Träumen zu Hause, er wohnt oft unter Miltonschen Schatten und in der Unterwelt Daute's; alles macht auf ihn einen tiefen blei- benden Eindruck, sobald er nur eine schwermü- thige Seite auffinden kann, die Freude kann ihn nur aus der Ferne beleuchten, wie ein sanf- ter untergehender Abendschimmer. Sein Aeuße- res hat daher beim ersten Anblicke etwas Zurück- scheuchendes, aber kaum kam ich ihm einen Schritt entgegen, als er sogleich die ganze zwi- schenstehende Wand niederwarf, die so oft auch die innigsten Freunde noch in manchen Stunden trennt. -- Aber so sehr er auch mein Freund ist, so kann ich ihn doch nicht mit der Liebe umfangen, mit der ich Dich liebe, Dein Bild-
erwaͤrmt, faſt allenthalben treffen ſich unſre verwandten Geiſter in einem Mittelpunkte, ohne daß doch unſrer Natur jene Nuͤancen mangeln, die, wie man behauptet, in der Freundſchaft und Liebe unentbehrlich ſind, um beide dauer- haft zu machen. — Ich habe nicht, wie er, die- ſen tiefen Hang zur duͤſtern Schwaͤrmerei, dieſe Kindlichkeit, mit der er ſich an jeden Charakter ſchmiegt, den er liebt; ich bin kaͤlter und zu- ruͤckgezogener, meine Phantaſie iſt mehr in ſuͤ- ßen, lieblichen Traͤumen zu Hauſe, er wohnt oft unter Miltonſchen Schatten und in der Unterwelt Daute’s; alles macht auf ihn einen tiefen blei- benden Eindruck, ſobald er nur eine ſchwermuͤ- thige Seite auffinden kann, die Freude kann ihn nur aus der Ferne beleuchten, wie ein ſanf- ter untergehender Abendſchimmer. Sein Aeuße- res hat daher beim erſten Anblicke etwas Zuruͤck- ſcheuchendes, aber kaum kam ich ihm einen Schritt entgegen, als er ſogleich die ganze zwi- ſchenſtehende Wand niederwarf, die ſo oft auch die innigſten Freunde noch in manchen Stunden trennt. — Aber ſo ſehr er auch mein Freund iſt, ſo kann ich ihn doch nicht mit der Liebe umfangen, mit der ich Dich liebe, Dein Bild-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0090"n="82[80]"/>
erwaͤrmt, faſt allenthalben treffen ſich unſre<lb/>
verwandten Geiſter in einem Mittelpunkte, ohne<lb/>
daß doch unſrer Natur jene Nuͤancen mangeln,<lb/>
die, wie man behauptet, in der Freundſchaft<lb/>
und Liebe unentbehrlich ſind, um beide dauer-<lb/>
haft zu machen. — Ich habe nicht, wie er, die-<lb/>ſen tiefen Hang zur duͤſtern Schwaͤrmerei, dieſe<lb/>
Kindlichkeit, mit der er ſich an jeden Charakter<lb/>ſchmiegt, den er liebt; ich bin kaͤlter und zu-<lb/>
ruͤckgezogener, meine Phantaſie iſt mehr in ſuͤ-<lb/>
ßen, lieblichen Traͤumen zu Hauſe, er wohnt oft<lb/>
unter Miltonſchen Schatten und in der Unterwelt<lb/>
Daute’s; alles macht auf ihn einen tiefen blei-<lb/>
benden Eindruck, ſobald er nur eine ſchwermuͤ-<lb/>
thige Seite auffinden kann, die Freude kann<lb/>
ihn nur aus der Ferne beleuchten, wie ein ſanf-<lb/>
ter untergehender Abendſchimmer. Sein Aeuße-<lb/>
res hat daher beim erſten Anblicke etwas Zuruͤck-<lb/>ſcheuchendes, aber kaum kam ich ihm einen<lb/>
Schritt entgegen, als er ſogleich die ganze zwi-<lb/>ſchenſtehende Wand niederwarf, die ſo oft auch<lb/>
die innigſten Freunde noch in manchen Stunden<lb/>
trennt. — Aber ſo ſehr er auch mein Freund<lb/>
iſt, ſo kann ich ihn doch nicht mit der Liebe<lb/>
umfangen, mit der ich Dich liebe, Dein Bild-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[82[80]/0090]
erwaͤrmt, faſt allenthalben treffen ſich unſre
verwandten Geiſter in einem Mittelpunkte, ohne
daß doch unſrer Natur jene Nuͤancen mangeln,
die, wie man behauptet, in der Freundſchaft
und Liebe unentbehrlich ſind, um beide dauer-
haft zu machen. — Ich habe nicht, wie er, die-
ſen tiefen Hang zur duͤſtern Schwaͤrmerei, dieſe
Kindlichkeit, mit der er ſich an jeden Charakter
ſchmiegt, den er liebt; ich bin kaͤlter und zu-
ruͤckgezogener, meine Phantaſie iſt mehr in ſuͤ-
ßen, lieblichen Traͤumen zu Hauſe, er wohnt oft
unter Miltonſchen Schatten und in der Unterwelt
Daute’s; alles macht auf ihn einen tiefen blei-
benden Eindruck, ſobald er nur eine ſchwermuͤ-
thige Seite auffinden kann, die Freude kann
ihn nur aus der Ferne beleuchten, wie ein ſanf-
ter untergehender Abendſchimmer. Sein Aeuße-
res hat daher beim erſten Anblicke etwas Zuruͤck-
ſcheuchendes, aber kaum kam ich ihm einen
Schritt entgegen, als er ſogleich die ganze zwi-
ſchenſtehende Wand niederwarf, die ſo oft auch
die innigſten Freunde noch in manchen Stunden
trennt. — Aber ſo ſehr er auch mein Freund
iſt, ſo kann ich ihn doch nicht mit der Liebe
umfangen, mit der ich Dich liebe, Dein Bild-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 82[80]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/90>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.