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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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itzt nichts als sein Mädchen divine; wenn das
die Leute wüsten, sie würden ihn gewiß in Ru-
he lassen.

Unter der Menge von Bekanntschaften ha-
ben wir einige sehr interessante gemacht, einige
habe ich von meiner vorigen Reise aufgefrischt.
-- Es ist oft unendlich leichter, in einer ganz
fremden Familie zu einer Art von Vertraulich-
keit zu kommen, als in einem Zirkel, in wel-
chem man ehemahls sehr bekannt war, wo aber
die Zeit die Erinnerung ganz ausgebleicht hat.
Alles ist verwittert, die neu aufgettagenen Far-
ben wollen nicht stehn, nichts ist in einem ge-
wissen nothwendigen Gleichmaaß: man fürchtet
in jedem Augenblicke zu sehr den Vertrauten,
oder den kalt gewordenen Fremden zu spielen,
man hat die Fugen der Seele indeß vergessen
und greift auf dem Instrumente unaufhörlich
falsch. -- Den alten Grafen Melun hab' ich
wieder aufgesucht, seine Nichte, die damahls
ein hübsches Kind war, ist ein sehe schönes
Weib geworden, ihr Verstand hat sich nicht we-
niger ausgebildet. Sie hat im vorigen Jah-
re einen gewissen Grafen Blainville geheira-
thet, der itzt seit einigen Monathen gestorben

itzt nichts als ſein Maͤdchen divine; wenn das
die Leute wuͤſten, ſie wuͤrden ihn gewiß in Ru-
he laſſen.

Unter der Menge von Bekanntſchaften ha-
ben wir einige ſehr intereſſante gemacht, einige
habe ich von meiner vorigen Reiſe aufgefriſcht.
— Es iſt oft unendlich leichter, in einer ganz
fremden Familie zu einer Art von Vertraulich-
keit zu kommen, als in einem Zirkel, in wel-
chem man ehemahls ſehr bekannt war, wo aber
die Zeit die Erinnerung ganz ausgebleicht hat.
Alles iſt verwittert, die neu aufgettagenen Far-
ben wollen nicht ſtehn, nichts iſt in einem ge-
wiſſen nothwendigen Gleichmaaß: man fuͤrchtet
in jedem Augenblicke zu ſehr den Vertrauten,
oder den kalt gewordenen Fremden zu ſpielen,
man hat die Fugen der Seele indeß vergeſſen
und greift auf dem Inſtrumente unaufhoͤrlich
falſch. — Den alten Grafen Melun hab’ ich
wieder aufgeſucht, ſeine Nichte, die damahls
ein huͤbſches Kind war, iſt ein ſehe ſchoͤnes
Weib geworden, ihr Verſtand hat ſich nicht we-
niger ausgebildet. Sie hat im vorigen Jah-
re einen gewiſſen Grafen Blainville geheira-
thet, der itzt ſeit einigen Monathen geſtorben

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[77[75]/0085] itzt nichts als ſein Maͤdchen divine; wenn das die Leute wuͤſten, ſie wuͤrden ihn gewiß in Ru- he laſſen. Unter der Menge von Bekanntſchaften ha- ben wir einige ſehr intereſſante gemacht, einige habe ich von meiner vorigen Reiſe aufgefriſcht. — Es iſt oft unendlich leichter, in einer ganz fremden Familie zu einer Art von Vertraulich- keit zu kommen, als in einem Zirkel, in wel- chem man ehemahls ſehr bekannt war, wo aber die Zeit die Erinnerung ganz ausgebleicht hat. Alles iſt verwittert, die neu aufgettagenen Far- ben wollen nicht ſtehn, nichts iſt in einem ge- wiſſen nothwendigen Gleichmaaß: man fuͤrchtet in jedem Augenblicke zu ſehr den Vertrauten, oder den kalt gewordenen Fremden zu ſpielen, man hat die Fugen der Seele indeß vergeſſen und greift auf dem Inſtrumente unaufhoͤrlich falſch. — Den alten Grafen Melun hab’ ich wieder aufgeſucht, ſeine Nichte, die damahls ein huͤbſches Kind war, iſt ein ſehe ſchoͤnes Weib geworden, ihr Verſtand hat ſich nicht we- niger ausgebildet. Sie hat im vorigen Jah- re einen gewiſſen Grafen Blainville geheira- thet, der itzt ſeit einigen Monathen geſtorben

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 77[75]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/85>, abgerufen am 25.11.2024.