sen. Er gafft und staunt alles an und theilt mir dann oft in langen Gesprächen seine Be- merkungen mit.
William will sich mit dem Eigensinne seiner Empfindung gar nicht in den reizenden, schnell wandelbaren Charakter des liebenswürdigsten Volkes finden, auf den Gassen ist er betäubt, in Gesellschaft wird er zu Tode geschwatzt, im Trauerspiel ärgert er sich, im Lustspiel gähnt er, in der Oper, -- hat er einigemahl sogar ge- schlafen. -- Er ist unvorsichtig genug, seine Be- merkungen oft Franzosen mitzutheilen und diese finden dann, daß er den Sonderling spielt, daß sein Geschmack noch nicht gebildet ist, -- mit einem Worte: daß er kein Franzose ist. Diese Disputen sind mir immer sehr langweilig, ein jeder hält die Gründe des andern für trivial und keiner versteht den andern ganz, und beide haben Recht und beide Unrecht. -- Mit einem Baron hat er sich hier ganz ernsthaft entzweit, weil er den Corneille für keinen erhabenen Dichter hielt, und ich seh' es voraus, daß er auch nächstens mit einem Marquis brechen wird, weil er die Oper nicht magnifique, superbe und divine findet. -- Ach, der arme William findet
ſen. Er gafft und ſtaunt alles an und theilt mir dann oft in langen Geſpraͤchen ſeine Be- merkungen mit.
William will ſich mit dem Eigenſinne ſeiner Empfindung gar nicht in den reizenden, ſchnell wandelbaren Charakter des liebenswuͤrdigſten Volkes finden, auf den Gaſſen iſt er betaͤubt, in Geſellſchaft wird er zu Tode geſchwatzt, im Trauerſpiel aͤrgert er ſich, im Luſtſpiel gaͤhnt er, in der Oper, — hat er einigemahl ſogar ge- ſchlafen. — Er iſt unvorſichtig genug, ſeine Be- merkungen oft Franzoſen mitzutheilen und dieſe finden dann, daß er den Sonderling ſpielt, daß ſein Geſchmack noch nicht gebildet iſt, — mit einem Worte: daß er kein Franzoſe iſt. Dieſe Diſputen ſind mir immer ſehr langweilig, ein jeder haͤlt die Gruͤnde des andern fuͤr trivial und keiner verſteht den andern ganz, und beide haben Recht und beide Unrecht. — Mit einem Baron hat er ſich hier ganz ernſthaft entzweit, weil er den Corneille fuͤr keinen erhabenen Dichter hielt, und ich ſeh’ es voraus, daß er auch naͤchſtens mit einem Marquis brechen wird, weil er die Oper nicht magnifique, superbe und divine findet. — Ach, der arme William findet
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[76[74]/0084]
ſen. Er gafft und ſtaunt alles an und theilt
mir dann oft in langen Geſpraͤchen ſeine Be-
merkungen mit.
William will ſich mit dem Eigenſinne ſeiner
Empfindung gar nicht in den reizenden, ſchnell
wandelbaren Charakter des liebenswuͤrdigſten
Volkes finden, auf den Gaſſen iſt er betaͤubt,
in Geſellſchaft wird er zu Tode geſchwatzt, im
Trauerſpiel aͤrgert er ſich, im Luſtſpiel gaͤhnt er,
in der Oper, — hat er einigemahl ſogar ge-
ſchlafen. — Er iſt unvorſichtig genug, ſeine Be-
merkungen oft Franzoſen mitzutheilen und dieſe
finden dann, daß er den Sonderling ſpielt, daß
ſein Geſchmack noch nicht gebildet iſt, — mit
einem Worte: daß er kein Franzoſe iſt. Dieſe
Diſputen ſind mir immer ſehr langweilig, ein
jeder haͤlt die Gruͤnde des andern fuͤr trivial
und keiner verſteht den andern ganz, und beide
haben Recht und beide Unrecht. — Mit einem
Baron hat er ſich hier ganz ernſthaft entzweit,
weil er den Corneille fuͤr keinen erhabenen
Dichter hielt, und ich ſeh’ es voraus, daß er
auch naͤchſtens mit einem Marquis brechen wird,
weil er die Oper nicht magnifique, superbe und
divine findet. — Ach, der arme William findet
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 76[74]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/84>, abgerufen am 22.11.2024.
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