werth, als ein halbes Menschengeschlecht, sie schwärmen in allen Regionen der Phantasie um- her, um endlich doch dahin zurückzukommen, wo sie sich wieder in die Reihe der übri- gen. sterblichen Menschen finden; denn, ich hoff' es zur Ehre der Menschheit, daß von diesen Mondsüchtigen noch keiner die Ansprüche ge- macht hat, seine Geliebte ohne Augen zu sehn und ohne Ohren zu hören, wenn sie auch ver- gessen haben, daß die Sinnlichkeit zu dem Hau- se das sie bewohnen die erste Etage ist, -- am Ende sind sie eben dem Winde ausgesetzt, und sie ziehen wieder herunter.
Merkutio hat Recht, wenn er sagt, das fadeste Gespräch hätte mehr Sinn, als das Selbstpeinigen dieser verlohrnen Söhne der Na- tur, die sich von Träbern nähren und diese in einem beklagenswürdigen Wahnsinne für Ambro- sia halten.
Deine Schwester hab' ich heut schon besucht, sie ist schön und scheint eben so verständig, au- ßer -- daß sie traurig war und gewiß um Lo- vell, -- es thut mir leid um sie. --
Es wäre übrigens wohl möglich, daß Du Dich in Deiner Einsamkeit ganz ernsthaft ver-
werth, als ein halbes Menſchengeſchlecht, ſie ſchwaͤrmen in allen Regionen der Phantaſie um- her, um endlich doch dahin zuruͤckzukommen, wo ſie ſich wieder in die Reihe der uͤbri- gen. ſterblichen Menſchen finden; denn, ich hoff’ es zur Ehre der Menſchheit, daß von dieſen Mondſuͤchtigen noch keiner die Anſpruͤche ge- macht hat, ſeine Geliebte ohne Augen zu ſehn und ohne Ohren zu hoͤren, wenn ſie auch ver- geſſen haben, daß die Sinnlichkeit zu dem Hau- ſe das ſie bewohnen die erſte Etage iſt, — am Ende ſind ſie eben dem Winde ausgeſetzt, und ſie ziehen wieder herunter.
Merkutio hat Recht, wenn er ſagt, das fadeſte Geſpraͤch haͤtte mehr Sinn, als das Selbſtpeinigen dieſer verlohrnen Soͤhne der Na- tur, die ſich von Traͤbern naͤhren und dieſe in einem beklagenswuͤrdigen Wahnſinne fuͤr Ambro- ſia halten.
Deine Schweſter hab’ ich heut ſchon beſucht, ſie iſt ſchoͤn und ſcheint eben ſo verſtaͤndig, au- ßer — daß ſie traurig war und gewiß um Lo- vell, — es thut mir leid um ſie. —
Es waͤre uͤbrigens wohl moͤglich, daß Du Dich in Deiner Einſamkeit ganz ernſthaft ver-
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[50[48]/0058]
werth, als ein halbes Menſchengeſchlecht, ſie
ſchwaͤrmen in allen Regionen der Phantaſie um-
her, um endlich doch dahin zuruͤckzukommen,
wo ſie ſich wieder in die Reihe der uͤbri-
gen. ſterblichen Menſchen finden; denn, ich hoff’
es zur Ehre der Menſchheit, daß von dieſen
Mondſuͤchtigen noch keiner die Anſpruͤche ge-
macht hat, ſeine Geliebte ohne Augen zu ſehn
und ohne Ohren zu hoͤren, wenn ſie auch ver-
geſſen haben, daß die Sinnlichkeit zu dem Hau-
ſe das ſie bewohnen die erſte Etage iſt, — am
Ende ſind ſie eben dem Winde ausgeſetzt, und
ſie ziehen wieder herunter.
Merkutio hat Recht, wenn er ſagt, das
fadeſte Geſpraͤch haͤtte mehr Sinn, als das
Selbſtpeinigen dieſer verlohrnen Soͤhne der Na-
tur, die ſich von Traͤbern naͤhren und dieſe in
einem beklagenswuͤrdigen Wahnſinne fuͤr Ambro-
ſia halten.
Deine Schweſter hab’ ich heut ſchon beſucht,
ſie iſt ſchoͤn und ſcheint eben ſo verſtaͤndig, au-
ßer — daß ſie traurig war und gewiß um Lo-
vell, — es thut mir leid um ſie. —
Es waͤre uͤbrigens wohl moͤglich, daß Du
Dich in Deiner Einſamkeit ganz ernſthaft ver-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 50[48]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/58>, abgerufen am 22.11.2024.
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