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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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seinem Bette stehe, und -- v denke Dir mein
Entsetzen! -- seine Beschreibung paßte Zug für
Zug auf den fürchterlichen Greis, von dem ich
Dir neulich erzählt habe, der einem Portrait
meines Vaters so ähnlich ist. -- Ich sah mich
ängstlich im Zimmer um, es war Niemand wei-
ter da, aber er muß ihn kennen, Eduard, -- o
wer weiß, wie wunderbar sich die Fäden meines
Schicksals in einander fügen!

Lächle nicht über mich, Eduard; noch ehe
Du diesen Brief zu Ende gelesen hast, wirst
Du einsehn, daß Du keine Ursache dazu hast.
Du wirst mir Recht geben und das Grauen des
Freundes mit empfinden.

Balder erregte mein tiefes Mitleid; ich
betrachtete ihn, wie einen, der ohne es zu wis-
sen, mit meinen innersten Gedanken zusammen-
hinge; ich konnte in der Nacht nicht schlafen,
seine Beschreibung hatte das Bild jenes seltsa-
men schrecklichen Greises wieder gar zu lebhaft
in meiner Phantasie erweckt.

Ich fühlte, daß Balders Krankheit für mich
ansteckend seyn könnte; ich reiste also schon ge-
stern nach Rom zurück. Es war gegen Abend
als ich in die Nähe der Stadt kam, die Son-

ſeinem Bette ſtehe, und — v denke Dir mein
Entſetzen! — ſeine Beſchreibung paßte Zug fuͤr
Zug auf den fuͤrchterlichen Greis, von dem ich
Dir neulich erzaͤhlt habe, der einem Portrait
meines Vaters ſo aͤhnlich iſt. — Ich ſah mich
aͤngſtlich im Zimmer um, es war Niemand wei-
ter da, aber er muß ihn kennen, Eduard, — o
wer weiß, wie wunderbar ſich die Faͤden meines
Schickſals in einander fuͤgen!

Laͤchle nicht uͤber mich, Eduard; noch ehe
Du dieſen Brief zu Ende geleſen haſt, wirſt
Du einſehn, daß Du keine Urſache dazu haſt.
Du wirſt mir Recht geben und das Grauen des
Freundes mit empfinden.

Balder erregte mein tiefes Mitleid; ich
betrachtete ihn, wie einen, der ohne es zu wiſ-
ſen, mit meinen innerſten Gedanken zuſammen-
hinge; ich konnte in der Nacht nicht ſchlafen,
ſeine Beſchreibung hatte das Bild jenes ſeltſa-
men ſchrecklichen Greiſes wieder gar zu lebhaft
in meiner Phantaſie erweckt.

Ich fuͤhlte, daß Balders Krankheit fuͤr mich
anſteckend ſeyn koͤnnte; ich reiſte alſo ſchon ge-
ſtern nach Rom zuruͤck. Es war gegen Abend
als ich in die Naͤhe der Stadt kam, die Son-

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[338[336]/0346] ſeinem Bette ſtehe, und — v denke Dir mein Entſetzen! — ſeine Beſchreibung paßte Zug fuͤr Zug auf den fuͤrchterlichen Greis, von dem ich Dir neulich erzaͤhlt habe, der einem Portrait meines Vaters ſo aͤhnlich iſt. — Ich ſah mich aͤngſtlich im Zimmer um, es war Niemand wei- ter da, aber er muß ihn kennen, Eduard, — o wer weiß, wie wunderbar ſich die Faͤden meines Schickſals in einander fuͤgen! Laͤchle nicht uͤber mich, Eduard; noch ehe Du dieſen Brief zu Ende geleſen haſt, wirſt Du einſehn, daß Du keine Urſache dazu haſt. Du wirſt mir Recht geben und das Grauen des Freundes mit empfinden. Balder erregte mein tiefes Mitleid; ich betrachtete ihn, wie einen, der ohne es zu wiſ- ſen, mit meinen innerſten Gedanken zuſammen- hinge; ich konnte in der Nacht nicht ſchlafen, ſeine Beſchreibung hatte das Bild jenes ſeltſa- men ſchrecklichen Greiſes wieder gar zu lebhaft in meiner Phantaſie erweckt. Ich fuͤhlte, daß Balders Krankheit fuͤr mich anſteckend ſeyn koͤnnte; ich reiſte alſo ſchon ge- ſtern nach Rom zuruͤck. Es war gegen Abend als ich in die Naͤhe der Stadt kam, die Son-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 338[336]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/346>, abgerufen am 24.11.2024.