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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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Ich komme mir nur selbst entgegen
In einer leeren Wüsteney,
Ich lasse Welten sich bewegen,
Die Element' in Ordnung legen,
Der Wechsel kömmt auf meinen Ruf herbei
Und wandelt stets die alten Dinge neu.
Den bangen Ketten froh entronnen
Geh ich nun kühn durch's Leben hin,
Den harten Pflichten abgewonnen
Von feigen Thoren nur ersonnen.
Die Tugend ist nur, weil ich selber bin,
Ein Widerschein in meinem innern Sinn.
Was kümmern mich Gestalten, deren matten
Lichtglanz ich selbst hervorgebracht?
Mag Tugend sich und Laster gatten!
Sie sind nur Dunst und Nebelschatten!
Das Licht aus mir fällt in die finstre Nacht,
Die Tugend ist nur, weil ich sie gedacht.

So beherrscht mein äußrer Sinn die phy-
sische, mein innerer Sinn die moralische Welt.
Alles unterwirft sich meiner Willkühr, jede
Erscheinung, jede Handlung kann ich nennen,
wie es mir gefällt; die lebendige und leblose
Welt hängt an den Ketten, die mein Geist

Ich komme mir nur ſelbſt entgegen
In einer leeren Wüſteney,
Ich laſſe Welten ſich bewegen,
Die Element’ in Ordnung legen,
Der Wechſel kömmt auf meinen Ruf herbei
Und wandelt ſtets die alten Dinge neu.
Den bangen Ketten froh entronnen
Geh ich nun kühn durch’s Leben hin,
Den harten Pflichten abgewonnen
Von feigen Thoren nur erſonnen.
Die Tugend iſt nur, weil ich ſelber bin,
Ein Widerſchein in meinem innern Sinn.
Was kümmern mich Geſtalten, deren matten
Lichtglanz ich ſelbſt hervorgebracht?
Mag Tugend ſich und Laſter gatten!
Sie ſind nur Dunſt und Nebelſchatten!
Das Licht aus mir fällt in die finſtre Nacht,
Die Tugend iſt nur, weil ich ſie gedacht.

So beherrſcht mein aͤußrer Sinn die phy-
ſiſche, mein innerer Sinn die moraliſche Welt.
Alles unterwirft ſich meiner Willkuͤhr, jede
Erſcheinung, jede Handlung kann ich nennen,
wie es mir gefaͤllt; die lebendige und lebloſe
Welt haͤngt an den Ketten, die mein Geiſt

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[322[320]/0330] Ich komme mir nur ſelbſt entgegen In einer leeren Wüſteney, Ich laſſe Welten ſich bewegen, Die Element’ in Ordnung legen, Der Wechſel kömmt auf meinen Ruf herbei Und wandelt ſtets die alten Dinge neu. Den bangen Ketten froh entronnen Geh ich nun kühn durch’s Leben hin, Den harten Pflichten abgewonnen Von feigen Thoren nur erſonnen. Die Tugend iſt nur, weil ich ſelber bin, Ein Widerſchein in meinem innern Sinn. Was kümmern mich Geſtalten, deren matten Lichtglanz ich ſelbſt hervorgebracht? Mag Tugend ſich und Laſter gatten! Sie ſind nur Dunſt und Nebelſchatten! Das Licht aus mir fällt in die finſtre Nacht, Die Tugend iſt nur, weil ich ſie gedacht. So beherrſcht mein aͤußrer Sinn die phy- ſiſche, mein innerer Sinn die moraliſche Welt. Alles unterwirft ſich meiner Willkuͤhr, jede Erſcheinung, jede Handlung kann ich nennen, wie es mir gefaͤllt; die lebendige und lebloſe Welt haͤngt an den Ketten, die mein Geiſt

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 322[320]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/330>, abgerufen am 25.11.2024.