Sie haben Recht, Rosa, ich fange erst izt an, Sie zu verstehen. Was mir seit unsrer Be- kanntschaft dunkel und räthselhaft war, tritt nun wie aus einem Nebel allgemach hervor, die Thäler, die zwischen den Bergen liegen, werden sichtbar, mein Blick umfängt die ganze Land- schaft. -- Ihr Geist zieht den meinigen zu sich hinüber; eben da, wo ich mich einst mit einer zu jugendlichen Voreiligkeit (ich darf es Ihnen nun wohl gestehn) über Ihnen erhaben fühlte, seh' ich mich izt um so mehr gedemüthigt.
Was machen Sie und Balder in Neapel? Seit Ihrer Abreise fühl' ich mich hier einsam und verlassen, es scheint, als wenn mir stets ein Freund zur Unterstützung nothwendig wäre. -- Kommen Sie bald zurück!
Aber dennoch hab' ich Ihnen, nur Ihnen allein jene Selbstständigkeit zu danken, die mir noch vor kurzem so fremd war. Sie haben mich aus jenen Wesen hervorgehoben, die in ei-
19. William Lovell an Roſa.
Rom.
Sie haben Recht, Roſa, ich fange erſt izt an, Sie zu verſtehen. Was mir ſeit unſrer Be- kanntſchaft dunkel und raͤthſelhaft war, tritt nun wie aus einem Nebel allgemach hervor, die Thaͤler, die zwiſchen den Bergen liegen, werden ſichtbar, mein Blick umfaͤngt die ganze Land- ſchaft. — Ihr Geiſt zieht den meinigen zu ſich hinuͤber; eben da, wo ich mich einſt mit einer zu jugendlichen Voreiligkeit (ich darf es Ihnen nun wohl geſtehn) uͤber Ihnen erhaben fuͤhlte, ſeh’ ich mich izt um ſo mehr gedemuͤthigt.
Was machen Sie und Balder in Neapel? Seit Ihrer Abreiſe fuͤhl’ ich mich hier einſam und verlaſſen, es ſcheint, als wenn mir ſtets ein Freund zur Unterſtuͤtzung nothwendig waͤre. — Kommen Sie bald zuruͤck!
Aber dennoch hab’ ich Ihnen, nur Ihnen allein jene Selbſtſtaͤndigkeit zu danken, die mir noch vor kurzem ſo fremd war. Sie haben mich aus jenen Weſen hervorgehoben, die in ei-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0304"n="296[294]"/><divn="2"><head>19.<lb/>
William Lovell an Roſa.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Rom.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">S</hi>ie haben Recht, Roſa, ich fange erſt izt an,<lb/>
Sie zu verſtehen. Was mir ſeit unſrer Be-<lb/>
kanntſchaft dunkel und raͤthſelhaft war, tritt<lb/>
nun wie aus einem Nebel allgemach hervor, die<lb/>
Thaͤler, die zwiſchen den Bergen liegen, werden<lb/>ſichtbar, mein Blick umfaͤngt die ganze Land-<lb/>ſchaft. — Ihr Geiſt zieht den meinigen zu ſich<lb/>
hinuͤber; eben da, wo ich mich einſt mit einer<lb/>
zu jugendlichen Voreiligkeit (ich darf es Ihnen<lb/>
nun wohl geſtehn) uͤber Ihnen erhaben fuͤhlte,<lb/>ſeh’ ich mich izt um ſo mehr gedemuͤthigt.</p><lb/><p>Was machen Sie und <hirendition="#g">Balder</hi> in Neapel?<lb/>
Seit Ihrer Abreiſe fuͤhl’ ich mich hier einſam<lb/>
und verlaſſen, es ſcheint, als wenn mir ſtets<lb/>
ein Freund zur Unterſtuͤtzung nothwendig waͤre.<lb/>— Kommen Sie bald zuruͤck!</p><lb/><p>Aber dennoch hab’ ich Ihnen, nur Ihnen<lb/>
allein jene Selbſtſtaͤndigkeit zu danken, die mir<lb/>
noch vor kurzem ſo fremd war. Sie haben<lb/>
mich aus jenen Weſen hervorgehoben, die in ei-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[296[294]/0304]
19.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Sie haben Recht, Roſa, ich fange erſt izt an,
Sie zu verſtehen. Was mir ſeit unſrer Be-
kanntſchaft dunkel und raͤthſelhaft war, tritt
nun wie aus einem Nebel allgemach hervor, die
Thaͤler, die zwiſchen den Bergen liegen, werden
ſichtbar, mein Blick umfaͤngt die ganze Land-
ſchaft. — Ihr Geiſt zieht den meinigen zu ſich
hinuͤber; eben da, wo ich mich einſt mit einer
zu jugendlichen Voreiligkeit (ich darf es Ihnen
nun wohl geſtehn) uͤber Ihnen erhaben fuͤhlte,
ſeh’ ich mich izt um ſo mehr gedemuͤthigt.
Was machen Sie und Balder in Neapel?
Seit Ihrer Abreiſe fuͤhl’ ich mich hier einſam
und verlaſſen, es ſcheint, als wenn mir ſtets
ein Freund zur Unterſtuͤtzung nothwendig waͤre.
— Kommen Sie bald zuruͤck!
Aber dennoch hab’ ich Ihnen, nur Ihnen
allein jene Selbſtſtaͤndigkeit zu danken, die mir
noch vor kurzem ſo fremd war. Sie haben
mich aus jenen Weſen hervorgehoben, die in ei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 296[294]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/304>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.