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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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mich aber ganz verstehst, muß ich etwas weit
ausholen.

Mein Vater hat eine kleine Gemähldesamm-
lung, die nur sehr wenige historische Stücke
und Landschaften enthält, sondern meistentheils
aus Portraiten seiner Verwandten, oder andern,
ihm merkwürdigen Personen besteht. Ich ging
als Knabe nie gern in dieses Zimmer, weil mir
immer war, als wenn die Menge von fremden
Gesichtern mit einemmahle lebendig würde: vor-
züglich aber fiel mir ein Bild darunter stets auf
eine unangenehme Art auf. Der Kamin des
Zimmers war etwas in einem Winkel ange-
bracht, wo ein starker Schatten fiel und ein Ge-
mählde, das darüber hing, fast ganz verdunkelte.
Es war ein Kopf, Eduard, ich weiß nicht, wie
ich ihn Dir beschreiben soll, -- ich möchte sa-
gen, mit eisernen Zügen. Ein Mann von ei-
nigen vierzig Jahren, blaß und hager, sein Auge
vorwärts stierend, indem das eine in einer klei-
nen Richtung nach dem andern schielt, ein
Mund der zu lächeln scheint, der aber, wenn
man ihn genauer betrachtet, so eben die Zähne
fletschen will; -- eine beständige Dämmerung
schwebte um dieses Gemählde und ein heimli-

mich aber ganz verſtehſt, muß ich etwas weit
ausholen.

Mein Vater hat eine kleine Gemaͤhldeſamm-
lung, die nur ſehr wenige hiſtoriſche Stuͤcke
und Landſchaften enthaͤlt, ſondern meiſtentheils
aus Portraiten ſeiner Verwandten, oder andern,
ihm merkwuͤrdigen Perſonen beſteht. Ich ging
als Knabe nie gern in dieſes Zimmer, weil mir
immer war, als wenn die Menge von fremden
Geſichtern mit einemmahle lebendig wuͤrde: vor-
zuͤglich aber fiel mir ein Bild darunter ſtets auf
eine unangenehme Art auf. Der Kamin des
Zimmers war etwas in einem Winkel ange-
bracht, wo ein ſtarker Schatten fiel und ein Ge-
maͤhlde, das daruͤber hing, faſt ganz verdunkelte.
Es war ein Kopf, Eduard, ich weiß nicht, wie
ich ihn Dir beſchreiben ſoll, — ich moͤchte ſa-
gen, mit eiſernen Zuͤgen. Ein Mann von ei-
nigen vierzig Jahren, blaß und hager, ſein Auge
vorwaͤrts ſtierend, indem das eine in einer klei-
nen Richtung nach dem andern ſchielt, ein
Mund der zu laͤcheln ſcheint, der aber, wenn
man ihn genauer betrachtet, ſo eben die Zaͤhne
fletſchen will; — eine beſtaͤndige Daͤmmerung
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[277[275]/0285] mich aber ganz verſtehſt, muß ich etwas weit ausholen. Mein Vater hat eine kleine Gemaͤhldeſamm- lung, die nur ſehr wenige hiſtoriſche Stuͤcke und Landſchaften enthaͤlt, ſondern meiſtentheils aus Portraiten ſeiner Verwandten, oder andern, ihm merkwuͤrdigen Perſonen beſteht. Ich ging als Knabe nie gern in dieſes Zimmer, weil mir immer war, als wenn die Menge von fremden Geſichtern mit einemmahle lebendig wuͤrde: vor- zuͤglich aber fiel mir ein Bild darunter ſtets auf eine unangenehme Art auf. Der Kamin des Zimmers war etwas in einem Winkel ange- bracht, wo ein ſtarker Schatten fiel und ein Ge- maͤhlde, das daruͤber hing, faſt ganz verdunkelte. Es war ein Kopf, Eduard, ich weiß nicht, wie ich ihn Dir beſchreiben ſoll, — ich moͤchte ſa- gen, mit eiſernen Zuͤgen. Ein Mann von ei- nigen vierzig Jahren, blaß und hager, ſein Auge vorwaͤrts ſtierend, indem das eine in einer klei- nen Richtung nach dem andern ſchielt, ein Mund der zu laͤcheln ſcheint, der aber, wenn man ihn genauer betrachtet, ſo eben die Zaͤhne fletſchen will; — eine beſtaͤndige Daͤmmerung ſchwebte um dieſes Gemaͤhlde und ein heimli-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 277[275]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/285>, abgerufen am 22.11.2024.