ich und weidete mich an Träumen einer golde- nen Zukunft, in der glücklichsten Beschränktheit liebt' ich Gott wie einen Vater, die Menschen wie Brüder und mich selbst als den Mittelpunkt der Schöpfung, auf den die Natur mit allen ihren Wohlthaten ziele. Itzt steh' ich vielleicht auf der Stufe, von wo ich in die Schule des Elends mit ernster Grausamkeit verwiesen wer- de, um mich vom Kinde zum Manne zu bilden, -- und werd' ich glücklicher seyn, als ich war, wenn ich vom harten Unterrichte zurückkehre?
Und hab' ich denn ein Recht über mein Un- glück zu klagen? und bin ich wirklich unglück- lich? -- Liebt mich denn Amalie, ist sie mein, daß mich ihre Entfernung traurig machen darf? Bin ich nicht der Sohn eines zärtlichen Vaters, der Freund eines edlen Freundes? und ich spre- che von Elend? -- Wozu dieser Eigensinn, daß ich mir einbilde, nur sie sei meine Seeligkeit? Ja, Eduard, ich will meiner Schwäche wider- stehn, aber Sehnsucht und Wünsche sind nicht Verbrechen. Ich will nicht mit dem Schicksal rechten, aber Klagen sind der Schwäche des Menschen vergönnt; wer noch nie seufzte, hat noch nie verlohren.
ich und weidete mich an Traͤumen einer golde- nen Zukunft, in der gluͤcklichſten Beſchraͤnktheit liebt’ ich Gott wie einen Vater, die Menſchen wie Bruͤder und mich ſelbſt als den Mittelpunkt der Schoͤpfung, auf den die Natur mit allen ihren Wohlthaten ziele. Itzt ſteh’ ich vielleicht auf der Stufe, von wo ich in die Schule des Elends mit ernſter Grauſamkeit verwieſen wer- de, um mich vom Kinde zum Manne zu bilden, — und werd’ ich gluͤcklicher ſeyn, als ich war, wenn ich vom harten Unterrichte zuruͤckkehre?
Und hab’ ich denn ein Recht uͤber mein Un- gluͤck zu klagen? und bin ich wirklich ungluͤck- lich? — Liebt mich denn Amalie, iſt ſie mein, daß mich ihre Entfernung traurig machen darf? Bin ich nicht der Sohn eines zaͤrtlichen Vaters, der Freund eines edlen Freundes? und ich ſpre- che von Elend? — Wozu dieſer Eigenſinn, daß ich mir einbilde, nur ſie ſei meine Seeligkeit? Ja, Eduard, ich will meiner Schwaͤche wider- ſtehn, aber Sehnſucht und Wuͤnſche ſind nicht Verbrechen. Ich will nicht mit dem Schickſal rechten, aber Klagen ſind der Schwaͤche des Menſchen vergoͤnnt; wer noch nie ſeufzte, hat noch nie verlohren.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0028"n="20[18]"/>
ich und weidete mich an Traͤumen einer golde-<lb/>
nen Zukunft, in der gluͤcklichſten Beſchraͤnktheit<lb/>
liebt’ ich Gott wie einen Vater, die Menſchen<lb/>
wie Bruͤder und mich ſelbſt als den Mittelpunkt<lb/>
der Schoͤpfung, auf den die Natur mit allen<lb/>
ihren Wohlthaten ziele. Itzt ſteh’ ich vielleicht<lb/>
auf der Stufe, von wo ich in die Schule des<lb/>
Elends mit ernſter Grauſamkeit verwieſen wer-<lb/>
de, um mich vom Kinde zum Manne zu bilden,<lb/>— und werd’ ich gluͤcklicher ſeyn, als ich war,<lb/>
wenn ich vom harten Unterrichte zuruͤckkehre?</p><lb/><p>Und hab’ ich denn ein Recht uͤber mein Un-<lb/>
gluͤck zu klagen? und bin ich wirklich ungluͤck-<lb/>
lich? — Liebt mich denn Amalie, iſt ſie <hirendition="#g">mein</hi>,<lb/>
daß mich ihre Entfernung traurig machen darf?<lb/>
Bin ich nicht der Sohn eines zaͤrtlichen Vaters,<lb/>
der Freund eines edlen Freundes? und ich ſpre-<lb/>
che von Elend? — Wozu dieſer Eigenſinn, daß<lb/>
ich mir einbilde, nur <hirendition="#g">ſie</hi>ſei meine Seeligkeit?<lb/>
Ja, Eduard, ich will meiner Schwaͤche wider-<lb/>ſtehn, aber Sehnſucht und Wuͤnſche ſind nicht<lb/>
Verbrechen. Ich will nicht mit dem Schickſal<lb/>
rechten, aber Klagen ſind der Schwaͤche des<lb/>
Menſchen vergoͤnnt; wer noch nie ſeufzte, hat<lb/>
noch nie verlohren.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[20[18]/0028]
ich und weidete mich an Traͤumen einer golde-
nen Zukunft, in der gluͤcklichſten Beſchraͤnktheit
liebt’ ich Gott wie einen Vater, die Menſchen
wie Bruͤder und mich ſelbſt als den Mittelpunkt
der Schoͤpfung, auf den die Natur mit allen
ihren Wohlthaten ziele. Itzt ſteh’ ich vielleicht
auf der Stufe, von wo ich in die Schule des
Elends mit ernſter Grauſamkeit verwieſen wer-
de, um mich vom Kinde zum Manne zu bilden,
— und werd’ ich gluͤcklicher ſeyn, als ich war,
wenn ich vom harten Unterrichte zuruͤckkehre?
Und hab’ ich denn ein Recht uͤber mein Un-
gluͤck zu klagen? und bin ich wirklich ungluͤck-
lich? — Liebt mich denn Amalie, iſt ſie mein,
daß mich ihre Entfernung traurig machen darf?
Bin ich nicht der Sohn eines zaͤrtlichen Vaters,
der Freund eines edlen Freundes? und ich ſpre-
che von Elend? — Wozu dieſer Eigenſinn, daß
ich mir einbilde, nur ſie ſei meine Seeligkeit?
Ja, Eduard, ich will meiner Schwaͤche wider-
ſtehn, aber Sehnſucht und Wuͤnſche ſind nicht
Verbrechen. Ich will nicht mit dem Schickſal
rechten, aber Klagen ſind der Schwaͤche des
Menſchen vergoͤnnt; wer noch nie ſeufzte, hat
noch nie verlohren.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 20[18]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/28>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.