sen. -- Oft wehte mich dann aus einem stillen Walde, oder aus einem Thale herauf das schreck- liche Gefühl an: "daß ich eben hier wieder wandeln würde, aber elend und von der ganzen Welt verlassen, das Abendroth würde über die Berge ziehn, ohne daß ich auf die Umarmung eines Freundes hoffen dürfte, -- das Morgen- roth würde wieder aufdämmern, ohne daß mei- ne Thränen getrocknet würden." Ich betrach- tete dann die Gegend genauer, um sie in diesem unglücklichen Zustande wiederzuerkennen und oft trat mir unwillkührlich eine Zähre in's Auge. --
Aber wie komme ich zu diesen kindischen Vorstellungen? Unvermerkt ist mein froher Brief auf die seltsamste Art traurig und aben- theuerlich geworden. Du hast Recht, die Me- lancholie ist ein ansteckendes Uebel und ich glau- be, daß sie bei mir nur eine fremdartige Krank- heit sey, die mir Balder mitgetheilt hat. Er macht mich itzt sehr besorgt, denn er ist ver- schlossener und trauriger als je; zuweilen be- gegne ich einem seiner verirrten Blicke und ich erschrecke vor ihm. Ich habe schon einigemahl in ihn gedrungen, mir deutlicher von der Ur-
sache
ſen. — Oft wehte mich dann aus einem ſtillen Walde, oder aus einem Thale herauf das ſchreck- liche Gefuͤhl an: »daß ich eben hier wieder wandeln wuͤrde, aber elend und von der ganzen Welt verlaſſen, das Abendroth wuͤrde uͤber die Berge ziehn, ohne daß ich auf die Umarmung eines Freundes hoffen duͤrfte, — das Morgen- roth wuͤrde wieder aufdaͤmmern, ohne daß mei- ne Thraͤnen getrocknet wuͤrden.« Ich betrach- tete dann die Gegend genauer, um ſie in dieſem ungluͤcklichen Zuſtande wiederzuerkennen und oft trat mir unwillkuͤhrlich eine Zaͤhre in’s Auge. —
Aber wie komme ich zu dieſen kindiſchen Vorſtellungen? Unvermerkt iſt mein froher Brief auf die ſeltſamſte Art traurig und aben- theuerlich geworden. Du haſt Recht, die Me- lancholie iſt ein anſteckendes Uebel und ich glau- be, daß ſie bei mir nur eine fremdartige Krank- heit ſey, die mir Balder mitgetheilt hat. Er macht mich itzt ſehr beſorgt, denn er iſt ver- ſchloſſener und trauriger als je; zuweilen be- gegne ich einem ſeiner verirrten Blicke und ich erſchrecke vor ihm. Ich habe ſchon einigemahl in ihn gedrungen, mir deutlicher von der Ur-
ſache
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[240[238]/0248]
ſen. — Oft wehte mich dann aus einem ſtillen
Walde, oder aus einem Thale herauf das ſchreck-
liche Gefuͤhl an: »daß ich eben hier wieder
wandeln wuͤrde, aber elend und von der ganzen
Welt verlaſſen, das Abendroth wuͤrde uͤber die
Berge ziehn, ohne daß ich auf die Umarmung
eines Freundes hoffen duͤrfte, — das Morgen-
roth wuͤrde wieder aufdaͤmmern, ohne daß mei-
ne Thraͤnen getrocknet wuͤrden.« Ich betrach-
tete dann die Gegend genauer, um ſie in dieſem
ungluͤcklichen Zuſtande wiederzuerkennen und
oft trat mir unwillkuͤhrlich eine Zaͤhre in’s
Auge. —
Aber wie komme ich zu dieſen kindiſchen
Vorſtellungen? Unvermerkt iſt mein froher
Brief auf die ſeltſamſte Art traurig und aben-
theuerlich geworden. Du haſt Recht, die Me-
lancholie iſt ein anſteckendes Uebel und ich glau-
be, daß ſie bei mir nur eine fremdartige Krank-
heit ſey, die mir Balder mitgetheilt hat. Er
macht mich itzt ſehr beſorgt, denn er iſt ver-
ſchloſſener und trauriger als je; zuweilen be-
gegne ich einem ſeiner verirrten Blicke und ich
erſchrecke vor ihm. Ich habe ſchon einigemahl
in ihn gedrungen, mir deutlicher von der Ur-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 240[238]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/248>, abgerufen am 24.11.2024.
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