einer so erzwungenen Kälte, daß ihm fast die Thränen in den Augen standen, fragte er mich: ob ich meine Schwester nicht zu Pferde beglei- ten würde? -- nun merkte ich, wo er hinaus wollte. -- Er wünschte, ich möchte meine Schwe- ster einige Meilen begleiten, damit er einen Vor- wand haben könnte, mitzureiten. Es hat mich wirklich gerührt, daß ihm an dieser Kleinigkeit so viel lag, er ist ein sehr guter Junge, -- ich sagte sogleich ja, und bat ihn selbst, um seine Gesellschaft. -- Morgen reiten wir also. --
Sind die Menschen nicht närrische Geschöpfe? Wie manches Unglück in der Welt würde sich nicht ganz aus dem Staube machen und sein Monument bis auf die letzte Spur vertilgt wer- den, -- wenn nicht jeder sorgsam selbst ein Stein- chen oder einen Stein auf die große Felsenmasse würfe, -- bloß um sagen zu können: er sei doch auch nicht müßig gewesen, er habe doch das Seinige auch dazu beigetragen? Gingen wir stets mit uns selbst gerade und ehrlich zu Werke, ließen wir uns nicht so gern von kränklichen Einbildungen hintergehn, glaube mir, die Welt wäre viel glücklicher und ihre Bewohner viel
einer ſo erzwungenen Kaͤlte, daß ihm faſt die Thraͤnen in den Augen ſtanden, fragte er mich: ob ich meine Schweſter nicht zu Pferde beglei- ten wuͤrde? — nun merkte ich, wo er hinaus wollte. — Er wuͤnſchte, ich moͤchte meine Schwe- ſter einige Meilen begleiten, damit er einen Vor- wand haben koͤnnte, mitzureiten. Es hat mich wirklich geruͤhrt, daß ihm an dieſer Kleinigkeit ſo viel lag, er iſt ein ſehr guter Junge, — ich ſagte ſogleich ja, und bat ihn ſelbſt, um ſeine Geſellſchaft. — Morgen reiten wir alſo. —
Sind die Menſchen nicht naͤrriſche Geſchoͤpfe? Wie manches Ungluͤck in der Welt wuͤrde ſich nicht ganz aus dem Staube machen und ſein Monument bis auf die letzte Spur vertilgt wer- den, — wenn nicht jeder ſorgſam ſelbſt ein Stein- chen oder einen Stein auf die große Felſenmaſſe wuͤrfe, — bloß um ſagen zu koͤnnen: er ſei doch auch nicht muͤßig geweſen, er habe doch das Seinige auch dazu beigetragen? Gingen wir ſtets mit uns ſelbſt gerade und ehrlich zu Werke, ließen wir uns nicht ſo gern von kraͤnklichen Einbildungen hintergehn, glaube mir, die Welt waͤre viel gluͤcklicher und ihre Bewohner viel
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einer ſo erzwungenen Kaͤlte, daß ihm faſt die
Thraͤnen in den Augen ſtanden, fragte er mich:
ob ich meine Schweſter nicht zu Pferde beglei-
ten wuͤrde? — nun merkte ich, wo er hinaus
wollte. — Er wuͤnſchte, ich moͤchte meine Schwe-
ſter einige Meilen begleiten, damit er einen Vor-
wand haben koͤnnte, mitzureiten. Es hat mich
wirklich geruͤhrt, daß ihm an dieſer Kleinigkeit
ſo viel lag, er iſt ein ſehr guter Junge, —
ich ſagte ſogleich ja, und bat ihn ſelbſt,
um ſeine Geſellſchaft. — Morgen reiten wir
alſo. —
Sind die Menſchen nicht naͤrriſche Geſchoͤpfe?
Wie manches Ungluͤck in der Welt wuͤrde ſich
nicht ganz aus dem Staube machen und ſein
Monument bis auf die letzte Spur vertilgt wer-
den, — wenn nicht jeder ſorgſam ſelbſt ein Stein-
chen oder einen Stein auf die große Felſenmaſſe
wuͤrfe, — bloß um ſagen zu koͤnnen: er ſei doch
auch nicht muͤßig geweſen, er habe doch das
Seinige auch dazu beigetragen? Gingen wir
ſtets mit uns ſelbſt gerade und ehrlich zu Werke,
ließen wir uns nicht ſo gern von kraͤnklichen
Einbildungen hintergehn, glaube mir, die Welt
waͤre viel gluͤcklicher und ihre Bewohner viel
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/22>, abgerufen am 21.11.2024.
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