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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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Garten. als geschähe es mir zum Possen, begeg-
nete. -- Nun hast Du ja die schönste Gelegen-
heit, dacht' ich bei mir, zu zeigen, wie viel dei-
ne Vernunft über Dich vermag, widerstehe der
Versuchung wie ein Mann. -- Ich wich ihr
daher nicht aus, sondern wir gingen unter gleich-
gültigen Gesprächen auf und ab. Meine Kälte
schien Emilien selbst zu befremden, sie äußerte
dies einigemahl im Gespräche; aber ich hielt
mich standhaft und freute mich ordentlich inner-
lich über meine wundergroße Seelenstärke. --
Von ohngefähr gingen wir an einem Rosen-
strauche vorbei und Emilie brach mit der un-
nachahmlichen liebenswürdigen Unschuld eine
Knospe ab, die so eben ihren Busen entfaltet
hatte und reichte sie mir mit jener zärtlichen
Unbefangenheit, die sich durch keine Worte aus-
drücken läßt. Ich kam mir in diesem Augen-
blicke mit meinen Vorsätzen so albern und ab-
geschmackt vor, so nüchtern und armseelig, daß
-- daß ich ihr hätte zu Füßen sinken und Ab-
bitte thun mögen. -- Ich weiß nicht, wie es
geschah, aber plötzlich kam der Geist Lovell's
über mich, -- ich drückte mit Entzücken die
Rose an meine Lippen. -- Unser Gespräch nahm

Garten. als geſchaͤhe es mir zum Poſſen, begeg-
nete. — Nun haſt Du ja die ſchoͤnſte Gelegen-
heit, dacht’ ich bei mir, zu zeigen, wie viel dei-
ne Vernunft uͤber Dich vermag, widerſtehe der
Verſuchung wie ein Mann. — Ich wich ihr
daher nicht aus, ſondern wir gingen unter gleich-
guͤltigen Geſpraͤchen auf und ab. Meine Kaͤlte
ſchien Emilien ſelbſt zu befremden, ſie aͤußerte
dies einigemahl im Geſpraͤche; aber ich hielt
mich ſtandhaft und freute mich ordentlich inner-
lich uͤber meine wundergroße Seelenſtaͤrke. —
Von ohngefaͤhr gingen wir an einem Roſen-
ſtrauche vorbei und Emilie brach mit der un-
nachahmlichen liebenswuͤrdigen Unſchuld eine
Knoſpe ab, die ſo eben ihren Buſen entfaltet
hatte und reichte ſie mir mit jener zaͤrtlichen
Unbefangenheit, die ſich durch keine Worte aus-
druͤcken laͤßt. Ich kam mir in dieſem Augen-
blicke mit meinen Vorſaͤtzen ſo albern und ab-
geſchmackt vor, ſo nuͤchtern und armſeelig, daß
— daß ich ihr haͤtte zu Fuͤßen ſinken und Ab-
bitte thun moͤgen. — Ich weiß nicht, wie es
geſchah, aber ploͤtzlich kam der Geiſt Lovell’s
uͤber mich, — ich druͤckte mit Entzuͤcken die
Roſe an meine Lippen. — Unſer Geſpraͤch nahm

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[206[204]/0214] Garten. als geſchaͤhe es mir zum Poſſen, begeg- nete. — Nun haſt Du ja die ſchoͤnſte Gelegen- heit, dacht’ ich bei mir, zu zeigen, wie viel dei- ne Vernunft uͤber Dich vermag, widerſtehe der Verſuchung wie ein Mann. — Ich wich ihr daher nicht aus, ſondern wir gingen unter gleich- guͤltigen Geſpraͤchen auf und ab. Meine Kaͤlte ſchien Emilien ſelbſt zu befremden, ſie aͤußerte dies einigemahl im Geſpraͤche; aber ich hielt mich ſtandhaft und freute mich ordentlich inner- lich uͤber meine wundergroße Seelenſtaͤrke. — Von ohngefaͤhr gingen wir an einem Roſen- ſtrauche vorbei und Emilie brach mit der un- nachahmlichen liebenswuͤrdigen Unſchuld eine Knoſpe ab, die ſo eben ihren Buſen entfaltet hatte und reichte ſie mir mit jener zaͤrtlichen Unbefangenheit, die ſich durch keine Worte aus- druͤcken laͤßt. Ich kam mir in dieſem Augen- blicke mit meinen Vorſaͤtzen ſo albern und ab- geſchmackt vor, ſo nuͤchtern und armſeelig, daß — daß ich ihr haͤtte zu Fuͤßen ſinken und Ab- bitte thun moͤgen. — Ich weiß nicht, wie es geſchah, aber ploͤtzlich kam der Geiſt Lovell’s uͤber mich, — ich druͤckte mit Entzuͤcken die Roſe an meine Lippen. — Unſer Geſpraͤch nahm

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 206[204]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/214>, abgerufen am 22.11.2024.