Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

das Unabänderliche zufrieden. -- Ein Unglück
würde mich im Gegentheile toll machen können,
das so mit einemmahle, wie aus den Wolken
auf mich herabfiele, wo unser Verstand sich lahm
raisonnirt, die Ursache davon aufzufinden, -- ein
Rippenstoß den mir eine unsichtbare Hand bei-
bringt: -- nein, diese Ergebung in das Schick-
sal, Vorsehung, Zufall, oder Nothwendigkeit,
wie man es nennen mag, ist mir völlig undenk-
bar. Ich fühle gar keine Anlage in mir zu die-
ser Art von christlicher Geduld. Der Himmel
gebe daher nur, daß ich so, wie bis itzt ge-
schehn ist, an allem, was ich leide, selber Schuld
seyn möge, weil ich sonst wahrscheinlich ein
großes Lärmen und Geschrei anfangen würde,
um mich wenigstens selbst zu betäuben.

Ich weiß nicht, ob ich es ein Glück
oder Unglück nennen soll, daß Emilie gegen
meine Liebe (denn ich will das Ding nur un-
gescheut bei seinem rechten Nahmen nennen)
nicht gleichgültig ist. Mich wundert, daß noch
kein Franzose diese Idee zum Sujet einer Tra-
gödie gewählt hat, denn sie ist wirklich so tra-
gisch, als nur irgend eine in einem französischen
Trauerspiele seyn kann. Es ist eine Tantalus-

das Unabaͤnderliche zufrieden. — Ein Ungluͤck
wuͤrde mich im Gegentheile toll machen koͤnnen,
das ſo mit einemmahle, wie aus den Wolken
auf mich herabfiele, wo unſer Verſtand ſich lahm
raiſonnirt, die Urſache davon aufzufinden, — ein
Rippenſtoß den mir eine unſichtbare Hand bei-
bringt: — nein, dieſe Ergebung in das Schick-
ſal, Vorſehung, Zufall, oder Nothwendigkeit,
wie man es nennen mag, iſt mir voͤllig undenk-
bar. Ich fuͤhle gar keine Anlage in mir zu die-
ſer Art von chriſtlicher Geduld. Der Himmel
gebe daher nur, daß ich ſo, wie bis itzt ge-
ſchehn iſt, an allem, was ich leide, ſelber Schuld
ſeyn moͤge, weil ich ſonſt wahrſcheinlich ein
großes Laͤrmen und Geſchrei anfangen wuͤrde,
um mich wenigſtens ſelbſt zu betaͤuben.

Ich weiß nicht, ob ich es ein Gluͤck
oder Ungluͤck nennen ſoll, daß Emilie gegen
meine Liebe (denn ich will das Ding nur un-
geſcheut bei ſeinem rechten Nahmen nennen)
nicht gleichguͤltig iſt. Mich wundert, daß noch
kein Franzoſe dieſe Idee zum Sujet einer Tra-
goͤdie gewaͤhlt hat, denn ſie iſt wirklich ſo tra-
giſch, als nur irgend eine in einem franzoͤſiſchen
Trauerſpiele ſeyn kann. Es iſt eine Tantalus-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0209" n="201[199]"/>
das Unaba&#x0364;nderliche zufrieden. &#x2014; Ein Unglu&#x0364;ck<lb/>
wu&#x0364;rde mich im Gegentheile toll machen ko&#x0364;nnen,<lb/>
das &#x017F;o mit einemmahle, wie aus den Wolken<lb/>
auf mich herabfiele, wo un&#x017F;er Ver&#x017F;tand &#x017F;ich lahm<lb/>
rai&#x017F;onnirt, die Ur&#x017F;ache davon aufzufinden, &#x2014; ein<lb/>
Rippen&#x017F;toß den mir eine un&#x017F;ichtbare Hand bei-<lb/>
bringt: &#x2014; nein, die&#x017F;e Ergebung in das Schick-<lb/>
&#x017F;al, Vor&#x017F;ehung, Zufall, oder Nothwendigkeit,<lb/>
wie man es nennen mag, i&#x017F;t mir vo&#x0364;llig undenk-<lb/>
bar. Ich fu&#x0364;hle gar keine Anlage in mir zu die-<lb/>
&#x017F;er Art von chri&#x017F;tlicher Geduld. Der Himmel<lb/>
gebe daher nur, daß ich &#x017F;o, wie bis itzt ge-<lb/>
&#x017F;chehn i&#x017F;t, an allem, was ich leide, &#x017F;elber Schuld<lb/>
&#x017F;eyn mo&#x0364;ge, weil ich &#x017F;on&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlich ein<lb/>
großes La&#x0364;rmen und Ge&#x017F;chrei anfangen wu&#x0364;rde,<lb/>
um mich wenig&#x017F;tens &#x017F;elb&#x017F;t zu beta&#x0364;uben.</p><lb/>
          <p>Ich weiß nicht, ob ich es ein Glu&#x0364;ck<lb/>
oder Unglu&#x0364;ck nennen &#x017F;oll, daß <hi rendition="#g">Emilie</hi> gegen<lb/>
meine Liebe (denn ich will das Ding nur un-<lb/>
ge&#x017F;cheut bei &#x017F;einem rechten Nahmen nennen)<lb/>
nicht gleichgu&#x0364;ltig i&#x017F;t. Mich wundert, daß noch<lb/>
kein Franzo&#x017F;e die&#x017F;e Idee zum Sujet einer Tra-<lb/>
go&#x0364;die gewa&#x0364;hlt hat, denn &#x017F;ie i&#x017F;t wirklich &#x017F;o tra-<lb/>
gi&#x017F;ch, als nur irgend eine in einem franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Trauer&#x017F;piele &#x017F;eyn kann. Es i&#x017F;t eine Tantalus-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201[199]/0209] das Unabaͤnderliche zufrieden. — Ein Ungluͤck wuͤrde mich im Gegentheile toll machen koͤnnen, das ſo mit einemmahle, wie aus den Wolken auf mich herabfiele, wo unſer Verſtand ſich lahm raiſonnirt, die Urſache davon aufzufinden, — ein Rippenſtoß den mir eine unſichtbare Hand bei- bringt: — nein, dieſe Ergebung in das Schick- ſal, Vorſehung, Zufall, oder Nothwendigkeit, wie man es nennen mag, iſt mir voͤllig undenk- bar. Ich fuͤhle gar keine Anlage in mir zu die- ſer Art von chriſtlicher Geduld. Der Himmel gebe daher nur, daß ich ſo, wie bis itzt ge- ſchehn iſt, an allem, was ich leide, ſelber Schuld ſeyn moͤge, weil ich ſonſt wahrſcheinlich ein großes Laͤrmen und Geſchrei anfangen wuͤrde, um mich wenigſtens ſelbſt zu betaͤuben. Ich weiß nicht, ob ich es ein Gluͤck oder Ungluͤck nennen ſoll, daß Emilie gegen meine Liebe (denn ich will das Ding nur un- geſcheut bei ſeinem rechten Nahmen nennen) nicht gleichguͤltig iſt. Mich wundert, daß noch kein Franzoſe dieſe Idee zum Sujet einer Tra- goͤdie gewaͤhlt hat, denn ſie iſt wirklich ſo tra- giſch, als nur irgend eine in einem franzoͤſiſchen Trauerſpiele ſeyn kann. Es iſt eine Tantalus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/209
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 201[199]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/209>, abgerufen am 24.11.2024.