Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

dung duldet; schönes Klima, Sonnenschein, --
alles hatte mich in eine wollüstige Trunkenheit
versetzt, in der ich mich oft ganz vergaß und
wie ein Kind der Natur bloß die frohe Empfin-
dung eines erquickenden Daseyns fühlte.

Wie oft hab' ich Dich an meine Seite ge-
wünscht! Allein zu genießen und einsam zu
trauern ist gleich lästig; Balder ist zu melancho-
lisch, zu stumpf für den Eindruck der Freude,
Rosa's Empfindung zu flüchtig und keiner eigent-
lichen Begeisterung fähig; -- o Eduard, Du
fehlst mir noch sehr oft, diese brüderliche Seele
hat mich noch nirgends wieder begrüßt, ich
werde sie vergebens suchen. -- Könnt' ich doch
Dich und Amalien an mein schlagendes Herz
drücken; in einer unaufhörlichen Erinnerung an
eure Liebe habe ich mein Verbrechen gegen Ama-
lien abgebüßt, ich bin itzt wieder ihrer würdig.

Dein nächster Brief wird mich in Genua
treffen. Lebe wohl.



William

dung duldet; ſchoͤnes Klima, Sonnenſchein, —
alles hatte mich in eine wolluͤſtige Trunkenheit
verſetzt, in der ich mich oft ganz vergaß und
wie ein Kind der Natur bloß die frohe Empfin-
dung eines erquickenden Daſeyns fuͤhlte.

Wie oft hab’ ich Dich an meine Seite ge-
wuͤnſcht! Allein zu genießen und einſam zu
trauern iſt gleich laͤſtig; Balder iſt zu melancho-
liſch, zu ſtumpf fuͤr den Eindruck der Freude,
Roſa’s Empfindung zu fluͤchtig und keiner eigent-
lichen Begeiſterung faͤhig; — o Eduard, Du
fehlſt mir noch ſehr oft, dieſe bruͤderliche Seele
hat mich noch nirgends wieder begruͤßt, ich
werde ſie vergebens ſuchen. — Koͤnnt’ ich doch
Dich und Amalien an mein ſchlagendes Herz
druͤcken; in einer unaufhoͤrlichen Erinnerung an
eure Liebe habe ich mein Verbrechen gegen Ama-
lien abgebuͤßt, ich bin itzt wieder ihrer wuͤrdig.

Dein naͤchſter Brief wird mich in Genua
treffen. Lebe wohl.



William

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0200" n="192[190]"/>
dung duldet; &#x017F;cho&#x0364;nes Klima, Sonnen&#x017F;chein, &#x2014;<lb/>
alles hatte mich in eine wollu&#x0364;&#x017F;tige Trunkenheit<lb/>
ver&#x017F;etzt, in der ich mich oft ganz vergaß und<lb/>
wie ein Kind der Natur bloß die frohe Empfin-<lb/>
dung eines erquickenden Da&#x017F;eyns fu&#x0364;hlte.</p><lb/>
          <p>Wie oft hab&#x2019; ich Dich an meine Seite ge-<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;cht! Allein zu genießen und ein&#x017F;am zu<lb/>
trauern i&#x017F;t gleich la&#x0364;&#x017F;tig; Balder i&#x017F;t zu melancho-<lb/>
li&#x017F;ch, zu &#x017F;tumpf fu&#x0364;r den Eindruck der Freude,<lb/>
Ro&#x017F;a&#x2019;s Empfindung zu flu&#x0364;chtig und keiner eigent-<lb/>
lichen Begei&#x017F;terung fa&#x0364;hig; &#x2014; o Eduard, Du<lb/>
fehl&#x017F;t mir noch &#x017F;ehr oft, die&#x017F;e bru&#x0364;derliche Seele<lb/>
hat mich noch nirgends wieder begru&#x0364;ßt, ich<lb/>
werde &#x017F;ie vergebens &#x017F;uchen. &#x2014; Ko&#x0364;nnt&#x2019; ich doch<lb/>
Dich und Amalien an mein &#x017F;chlagendes Herz<lb/>
dru&#x0364;cken; in einer unaufho&#x0364;rlichen Erinnerung an<lb/>
eure Liebe habe ich mein Verbrechen gegen Ama-<lb/>
lien abgebu&#x0364;ßt, ich bin itzt wieder ihrer wu&#x0364;rdig.</p><lb/>
          <p>Dein na&#x0364;ch&#x017F;ter Brief wird mich in <hi rendition="#g">Genua</hi><lb/>
treffen. Lebe wohl.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#et">William</hi> </salute>
          </closer>
        </div>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192[190]/0200] dung duldet; ſchoͤnes Klima, Sonnenſchein, — alles hatte mich in eine wolluͤſtige Trunkenheit verſetzt, in der ich mich oft ganz vergaß und wie ein Kind der Natur bloß die frohe Empfin- dung eines erquickenden Daſeyns fuͤhlte. Wie oft hab’ ich Dich an meine Seite ge- wuͤnſcht! Allein zu genießen und einſam zu trauern iſt gleich laͤſtig; Balder iſt zu melancho- liſch, zu ſtumpf fuͤr den Eindruck der Freude, Roſa’s Empfindung zu fluͤchtig und keiner eigent- lichen Begeiſterung faͤhig; — o Eduard, Du fehlſt mir noch ſehr oft, dieſe bruͤderliche Seele hat mich noch nirgends wieder begruͤßt, ich werde ſie vergebens ſuchen. — Koͤnnt’ ich doch Dich und Amalien an mein ſchlagendes Herz druͤcken; in einer unaufhoͤrlichen Erinnerung an eure Liebe habe ich mein Verbrechen gegen Ama- lien abgebuͤßt, ich bin itzt wieder ihrer wuͤrdig. Dein naͤchſter Brief wird mich in Genua treffen. Lebe wohl. William

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/200
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 192[190]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/200>, abgerufen am 24.11.2024.