Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite
23.
William Lovell an Balder.


Balder, ich schreibe Dir noch einmahl, ich
darf Dir schreiben, denn Du selber wirst mei-
nen Gefühlen Recht geben. O Freund, ich bin
aus einer düstern Grabnacht entstanden, ein
flammendes Morgenroth zieht am Himmel her-
auf und spiegelt mir feurig in's Angesicht.
Louise ist mein, ewig mein, sie hat sich mir mit
dem heißesten Kusse der Liebe versichert. Ich
trotze Deiner Verachtung, der Verachtung einer
Welt; unauflöslich mit glänzenden Fesseln an
die Liebe gekettet, wagt sich kein kleinliches
Gefühl der Sterblichkeit in den Umkreis mei-
nes Paradieses; mit einem flammenden Schwerd-
te steht mein Schutzgeist an der Gränze und
geisselt jede unheilige Empfindung hinweg; der
siegjauchzende Gesang der Liebe übertönt im ho-
hen Rauschen des Triumphs jeden Klang des
irrdischen Getümmels.

Ich fürchte, daß ich Dir Wahnsinn spreche,
aber ich muß mein Gefühl mittheilen; sei blo-

23.
William Lovell an Balder.


Balder, ich ſchreibe Dir noch einmahl, ich
darf Dir ſchreiben, denn Du ſelber wirſt mei-
nen Gefuͤhlen Recht geben. O Freund, ich bin
aus einer duͤſtern Grabnacht entſtanden, ein
flammendes Morgenroth zieht am Himmel her-
auf und ſpiegelt mir feurig in’s Angeſicht.
Louiſe iſt mein, ewig mein, ſie hat ſich mir mit
dem heißeſten Kuſſe der Liebe verſichert. Ich
trotze Deiner Verachtung, der Verachtung einer
Welt; unaufloͤslich mit glaͤnzenden Feſſeln an
die Liebe gekettet, wagt ſich kein kleinliches
Gefuͤhl der Sterblichkeit in den Umkreis mei-
nes Paradieſes; mit einem flammenden Schwerd-
te ſteht mein Schutzgeiſt an der Graͤnze und
geiſſelt jede unheilige Empfindung hinweg; der
ſiegjauchzende Geſang der Liebe uͤbertoͤnt im ho-
hen Rauſchen des Triumphs jeden Klang des
irrdiſchen Getuͤmmels.

Ich fuͤrchte, daß ich Dir Wahnſinn ſpreche,
aber ich muß mein Gefuͤhl mittheilen; ſei blo-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0176" n="168[166]"/>
        <div n="2">
          <head>23.<lb/>
William Lovell an Balder.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Paris.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">B</hi>alder, ich &#x017F;chreibe Dir noch einmahl, ich<lb/>
darf Dir &#x017F;chreiben, denn Du &#x017F;elber wir&#x017F;t mei-<lb/>
nen Gefu&#x0364;hlen Recht geben. O Freund, ich bin<lb/>
aus einer du&#x0364;&#x017F;tern Grabnacht ent&#x017F;tanden, ein<lb/>
flammendes Morgenroth zieht am Himmel her-<lb/>
auf und &#x017F;piegelt mir feurig in&#x2019;s Ange&#x017F;icht.<lb/>
Loui&#x017F;e i&#x017F;t mein, ewig mein, &#x017F;ie hat &#x017F;ich mir mit<lb/>
dem heiße&#x017F;ten Ku&#x017F;&#x017F;e der Liebe ver&#x017F;ichert. Ich<lb/>
trotze Deiner Verachtung, der Verachtung einer<lb/>
Welt; unauflo&#x0364;slich mit gla&#x0364;nzenden Fe&#x017F;&#x017F;eln an<lb/>
die Liebe gekettet, wagt &#x017F;ich kein kleinliches<lb/>
Gefu&#x0364;hl der Sterblichkeit in den Umkreis mei-<lb/>
nes Paradie&#x017F;es; mit einem flammenden Schwerd-<lb/>
te &#x017F;teht mein Schutzgei&#x017F;t an der Gra&#x0364;nze und<lb/>
gei&#x017F;&#x017F;elt jede unheilige Empfindung hinweg; der<lb/>
&#x017F;iegjauchzende Ge&#x017F;ang der Liebe u&#x0364;berto&#x0364;nt im ho-<lb/>
hen Rau&#x017F;chen des Triumphs jeden Klang des<lb/>
irrdi&#x017F;chen Getu&#x0364;mmels.</p><lb/>
          <p>Ich fu&#x0364;rchte, daß ich Dir Wahn&#x017F;inn &#x017F;preche,<lb/>
aber ich muß mein Gefu&#x0364;hl mittheilen; &#x017F;ei blo-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168[166]/0176] 23. William Lovell an Balder. Paris. Balder, ich ſchreibe Dir noch einmahl, ich darf Dir ſchreiben, denn Du ſelber wirſt mei- nen Gefuͤhlen Recht geben. O Freund, ich bin aus einer duͤſtern Grabnacht entſtanden, ein flammendes Morgenroth zieht am Himmel her- auf und ſpiegelt mir feurig in’s Angeſicht. Louiſe iſt mein, ewig mein, ſie hat ſich mir mit dem heißeſten Kuſſe der Liebe verſichert. Ich trotze Deiner Verachtung, der Verachtung einer Welt; unaufloͤslich mit glaͤnzenden Feſſeln an die Liebe gekettet, wagt ſich kein kleinliches Gefuͤhl der Sterblichkeit in den Umkreis mei- nes Paradieſes; mit einem flammenden Schwerd- te ſteht mein Schutzgeiſt an der Graͤnze und geiſſelt jede unheilige Empfindung hinweg; der ſiegjauchzende Geſang der Liebe uͤbertoͤnt im ho- hen Rauſchen des Triumphs jeden Klang des irrdiſchen Getuͤmmels. Ich fuͤrchte, daß ich Dir Wahnſinn ſpreche, aber ich muß mein Gefuͤhl mittheilen; ſei blo-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/176
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 168[166]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/176>, abgerufen am 24.11.2024.