Sie zweifelten neulich an meinem Siege, ich schreibe Ihnen, nachdem er errungen ist.
Ich hatte Lovell gestern Abends zu einem Tete-a-tete zu mir bestellt. Er stellte sich pünktlich ein, der Graf ist auf mehrere Tage [...]verreist, mein Kammermädchen hatte ihre gemessene Ordre. Sein Gesicht hatte sehr et- was anziehend Schwermüthiges, worunter eine sanfte Freude hervorleuchtete, er hatte mir so viel zu sagen, aber wir sprachen nur wenig, Küsse, Umarmungen, zärtliche Seufzer ersetzten die Sprache. Ich mußte ihm mehrere Sachen auf dem Fortepiano spielen, der Mond goß durch die rothen Vorhänge ein romantisches Licht um uns her, die Töne zerschmolzen im Zimmer in leisen Accenten. -- Sie kennen ja das Gefühl, wo die hochgespannte Empfindung uns in ätherische und überirrdische Entzückungen versetzt, die doch so nahe mit der Sinnlichkeit verwandt sind; der erhabenste Mensch glaubt
22. Die Comteſſe Blainville an Roſa.
Paris.
Sie zweifelten neulich an meinem Siege, ich ſchreibe Ihnen, nachdem er errungen iſt.
Ich hatte Lovell geſtern Abends zu einem Tete-a-tete zu mir beſtellt. Er ſtellte ſich puͤnktlich ein, der Graf iſt auf mehrere Tage […]verreiſt, mein Kammermaͤdchen hatte ihre gemeſſene Ordre. Sein Geſicht hatte ſehr et- was anziehend Schwermuͤthiges, worunter eine ſanfte Freude hervorleuchtete, er hatte mir ſo viel zu ſagen, aber wir ſprachen nur wenig, Kuͤſſe, Umarmungen, zaͤrtliche Seufzer erſetzten die Sprache. Ich mußte ihm mehrere Sachen auf dem Fortepiano ſpielen, der Mond goß durch die rothen Vorhaͤnge ein romantiſches Licht um uns her, die Toͤne zerſchmolzen im Zimmer in leiſen Accenten. — Sie kennen ja das Gefuͤhl, wo die hochgeſpannte Empfindung uns in aͤtheriſche und uͤberirrdiſche Entzuͤckungen verſetzt, die doch ſo nahe mit der Sinnlichkeit verwandt ſind; der erhabenſte Menſch glaubt
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0174"n="166[164]"/><divn="2"><head>22.<lb/>
Die Comteſſe Blainville an Roſa.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Paris.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">S</hi>ie zweifelten neulich an meinem Siege, ich<lb/>ſchreibe Ihnen, nachdem er errungen iſt.</p><lb/><p>Ich hatte Lovell geſtern Abends zu einem<lb/>
Tete-a-tete zu mir beſtellt. Er ſtellte ſich<lb/>
puͤnktlich ein, der Graf iſt auf mehrere Tage<lb/><choice><sic>Tage </sic><corr/></choice>verreiſt, mein Kammermaͤdchen hatte ihre<lb/>
gemeſſene Ordre. Sein Geſicht hatte ſehr et-<lb/>
was anziehend Schwermuͤthiges, worunter eine<lb/>ſanfte Freude hervorleuchtete, er hatte mir ſo<lb/>
viel zu ſagen, aber wir ſprachen nur wenig,<lb/>
Kuͤſſe, Umarmungen, zaͤrtliche Seufzer erſetzten<lb/>
die Sprache. Ich mußte ihm mehrere Sachen<lb/>
auf dem Fortepiano ſpielen, der Mond goß<lb/>
durch die rothen Vorhaͤnge <choice><sic>etn</sic><corr>ein</corr></choice> romantiſches<lb/>
Licht um uns her, die Toͤne zerſchmolzen im<lb/>
Zimmer in leiſen Accenten. — Sie kennen ja<lb/>
das Gefuͤhl, wo die hochgeſpannte Empfindung<lb/>
uns in aͤtheriſche und uͤberirrdiſche Entzuͤckungen<lb/>
verſetzt, die doch ſo nahe mit der Sinnlichkeit<lb/>
verwandt ſind; der erhabenſte Menſch glaubt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[166[164]/0174]
22.
Die Comteſſe Blainville an Roſa.
Paris.
Sie zweifelten neulich an meinem Siege, ich
ſchreibe Ihnen, nachdem er errungen iſt.
Ich hatte Lovell geſtern Abends zu einem
Tete-a-tete zu mir beſtellt. Er ſtellte ſich
puͤnktlich ein, der Graf iſt auf mehrere Tage
verreiſt, mein Kammermaͤdchen hatte ihre
gemeſſene Ordre. Sein Geſicht hatte ſehr et-
was anziehend Schwermuͤthiges, worunter eine
ſanfte Freude hervorleuchtete, er hatte mir ſo
viel zu ſagen, aber wir ſprachen nur wenig,
Kuͤſſe, Umarmungen, zaͤrtliche Seufzer erſetzten
die Sprache. Ich mußte ihm mehrere Sachen
auf dem Fortepiano ſpielen, der Mond goß
durch die rothen Vorhaͤnge ein romantiſches
Licht um uns her, die Toͤne zerſchmolzen im
Zimmer in leiſen Accenten. — Sie kennen ja
das Gefuͤhl, wo die hochgeſpannte Empfindung
uns in aͤtheriſche und uͤberirrdiſche Entzuͤckungen
verſetzt, die doch ſo nahe mit der Sinnlichkeit
verwandt ſind; der erhabenſte Menſch glaubt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 166[164]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/174>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.