Lovell war sehr ernsthaft und zurückhaltend, ich weiß nicht welche Gedanken ihn mit ganz neuer Kraft überrascht haben mußten, er war still und selbst kalt. Wir waren auf einige Au- genblicke allein, und diese benutzte ich so, daß ich ihn aus allen seinen Verschanzungen trieb; er wurde verwirrt, wollte sprechen und konnte nicht, bald nachher verließ er mich sehr unruhig.
Schon gestern am Morgen ließ er sich an- melden; gleich beim Eintritte bemerkt' ich, daß er heut einen großen Coup machen wolle, und ich hatte mich nicht geirrt. Er war in einer beständigen Verlegenheit, er hatte mir immer etwas zu sagen und wagte es doch nicht, er ward roth und blaß.
Endlich als er mich verließ, faßte er den großen Entschluß, er küßte mir außerordentlich feurig die Hand, gab mir ein Papier und eilte aus dem Zimmer. -- Dieses Blatt will ich Ih- nen beilegen.
Zwei solche auf einander folgende Triumphe müs- sen meiner Eitelkeit schmeicheln, nicht wahr? -- --
Ich sehe daß mein Brief sehr lang geworden ist, das Schreiben fängt an mich zu ennuyiren; leben Sie wohl.
19.
Lovell war ſehr ernſthaft und zuruͤckhaltend, ich weiß nicht welche Gedanken ihn mit ganz neuer Kraft uͤberraſcht haben mußten, er war ſtill und ſelbſt kalt. Wir waren auf einige Au- genblicke allein, und dieſe benutzte ich ſo, daß ich ihn aus allen ſeinen Verſchanzungen trieb; er wurde verwirrt, wollte ſprechen und konnte nicht, bald nachher verließ er mich ſehr unruhig.
Schon geſtern am Morgen ließ er ſich an- melden; gleich beim Eintritte bemerkt’ ich, daß er heut einen großen Coup machen wolle, und ich hatte mich nicht geirrt. Er war in einer beſtaͤndigen Verlegenheit, er hatte mir immer etwas zu ſagen und wagte es doch nicht, er ward roth und blaß.
Endlich als er mich verließ, faßte er den großen Entſchluß, er kuͤßte mir außerordentlich feurig die Hand, gab mir ein Papier und eilte aus dem Zimmer. — Dieſes Blatt will ich Ih- nen beilegen.
Zwei ſolche auf einander folgende Triumphe muͤſ- ſen meiner Eitelkeit ſchmeicheln, nicht wahr? — —
Ich ſehe daß mein Brief ſehr lang geworden iſt, das Schreiben faͤngt an mich zu ennuyiren; leben Sie wohl.
19.
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[160[158]/0168]
Lovell war ſehr ernſthaft und zuruͤckhaltend,
ich weiß nicht welche Gedanken ihn mit ganz
neuer Kraft uͤberraſcht haben mußten, er war
ſtill und ſelbſt kalt. Wir waren auf einige Au-
genblicke allein, und dieſe benutzte ich ſo, daß ich
ihn aus allen ſeinen Verſchanzungen trieb; er
wurde verwirrt, wollte ſprechen und konnte nicht,
bald nachher verließ er mich ſehr unruhig.
Schon geſtern am Morgen ließ er ſich an-
melden; gleich beim Eintritte bemerkt’ ich, daß
er heut einen großen Coup machen wolle, und
ich hatte mich nicht geirrt. Er war in einer
beſtaͤndigen Verlegenheit, er hatte mir immer
etwas zu ſagen und wagte es doch nicht, er
ward roth und blaß.
Endlich als er mich verließ, faßte er den
großen Entſchluß, er kuͤßte mir außerordentlich
feurig die Hand, gab mir ein Papier und eilte
aus dem Zimmer. — Dieſes Blatt will ich Ih-
nen beilegen.
Zwei ſolche auf einander folgende Triumphe muͤſ-
ſen meiner Eitelkeit ſchmeicheln, nicht wahr? — —
Ich ſehe daß mein Brief ſehr lang geworden
iſt, das Schreiben faͤngt an mich zu ennuyiren;
leben Sie wohl.
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 160[158]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/168>, abgerufen am 24.11.2024.
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