William, ich möchte Dir so gern nicht ant- worten, -- da komm' ich mit hundert schwermü- thigen Träumen, mit tausend lästigen Gefühlen aus der nüchternen Welt nach Hause, -- und finde nun noch Dein Billet; -- ich will noch ei- nige Zeit anwenden, Dir zu antworten, besuchen mag ich Dich in meiner itzigen Stimmung nicht, wir würden nur disputiren und morgen hab' ich eine Menge lästiger Geschäfte: kurz, ich will Dir schreiben, nur laß mich nachher nicht öfter da[r]über sprechen, denn wir werden nie einig werden.
Die ganze Welt erscheint mir oft als ein nichtswürdiges, fades Marionettenspiel, der Haufe täuscht sich beim anscheinenden Leben und freut sich; sieht man aber den Drath, der die hölzernen Figuren in Bewegung setzt, so wird man oft so betrübt, daß man über die Menge, die hintergangen wird und sich gern hintergehn läßt, weinen möchte. Wir adeln
17. Balder an William Lovell.
Paris.
William, ich moͤchte Dir ſo gern nicht ant- worten, — da komm’ ich mit hundert ſchwermuͤ- thigen Traͤumen, mit tauſend laͤſtigen Gefuͤhlen aus der nuͤchternen Welt nach Hauſe, — und finde nun noch Dein Billet; — ich will noch ei- nige Zeit anwenden, Dir zu antworten, beſuchen mag ich Dich in meiner itzigen Stimmung nicht, wir wuͤrden nur disputiren und morgen hab’ ich eine Menge laͤſtiger Geſchaͤfte: kurz, ich will Dir ſchreiben, nur laß mich nachher nicht oͤfter da[r]uͤber ſprechen, denn wir werden nie einig werden.
Die ganze Welt erſcheint mir oft als ein nichtswuͤrdiges, fades Marionettenſpiel, der Haufe taͤuſcht ſich beim anſcheinenden Leben und freut ſich; ſieht man aber den Drath, der die hoͤlzernen Figuren in Bewegung ſetzt, ſo wird man oft ſo betruͤbt, daß man uͤber die Menge, die hintergangen wird und ſich gern hintergehn laͤßt, weinen moͤchte. Wir adeln
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[148[146]/0156]
17.
Balder an William Lovell.
Paris.
William, ich moͤchte Dir ſo gern nicht ant-
worten, — da komm’ ich mit hundert ſchwermuͤ-
thigen Traͤumen, mit tauſend laͤſtigen Gefuͤhlen
aus der nuͤchternen Welt nach Hauſe, — und
finde nun noch Dein Billet; — ich will noch ei-
nige Zeit anwenden, Dir zu antworten, beſuchen
mag ich Dich in meiner itzigen Stimmung nicht,
wir wuͤrden nur disputiren und morgen hab’
ich eine Menge laͤſtiger Geſchaͤfte: kurz, ich will
Dir ſchreiben, nur laß mich nachher nicht oͤfter
daruͤber ſprechen, denn wir werden nie einig
werden.
Die ganze Welt erſcheint mir oft als ein
nichtswuͤrdiges, fades Marionettenſpiel, der
Haufe taͤuſcht ſich beim anſcheinenden Leben
und freut ſich; ſieht man aber den Drath, der
die hoͤlzernen Figuren in Bewegung ſetzt, ſo
wird man oft ſo betruͤbt, daß man uͤber die
Menge, die hintergangen wird und ſich gern
hintergehn laͤßt, weinen moͤchte. Wir adeln
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 148[146]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/156>, abgerufen am 24.11.2024.
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