Liebe, die Vögel sangen der Göttinn Lieder, sie wandelte im Hauche des Zephyrs durch den Garten und gaukelte in den Lindenblüthen: mir war's, als könnt' ich unter den goldenen Schimmern des Firmaments den rosengekränz- ten Engel sehn, der den tausendfachen Seegen über die Natur ausgießt; wie sich die ganze le- bende und leblose Natur kindlich zu ihm drängt um zu empfangen und sich zu freuen, -- o es war eine der wonnevollsten Stunden meines Lebens.
Ich war hundertmahl im Begriffe, ihr mei- ne Empfindungen zu gestehn, sie in einer blin- den Begeisterung an mein Herz zu drücken, mich kühn zu ihrer Hoheit emporzureissen, -- aber Amaliens Andenken hielt mich grausam ernst zurück. -- Aber ich will, ich muß ihr gestehn, was ich empfinde, ohne Mittheilung zersprengt dies Gefühl meinen Busen.
Begeh' ich dadurch eine Sünde an Ama- lien? -- Antworte mir hierauf, ich glaub' es nicht, ich liebe sie, ich werde sie lieben, aber soll mir diese Liebe ein Gesetz seyn, ge-
Liebe, die Voͤgel ſangen der Goͤttinn Lieder, ſie wandelte im Hauche des Zephyrs durch den Garten und gaukelte in den Lindenbluͤthen: mir war’s, als koͤnnt’ ich unter den goldenen Schimmern des Firmaments den roſengekraͤnz- ten Engel ſehn, der den tauſendfachen Seegen uͤber die Natur ausgießt; wie ſich die ganze le- bende und lebloſe Natur kindlich zu ihm draͤngt um zu empfangen und ſich zu freuen, — o es war eine der wonnevollſten Stunden meines Lebens.
Ich war hundertmahl im Begriffe, ihr mei- ne Empfindungen zu geſtehn, ſie in einer blin- den Begeiſterung an mein Herz zu druͤcken, mich kuͤhn zu ihrer Hoheit emporzureiſſen, — aber Amaliens Andenken hielt mich grauſam ernſt zuruͤck. — Aber ich will, ich muß ihr geſtehn, was ich empfinde, ohne Mittheilung zerſprengt dies Gefuͤhl meinen Buſen.
Begeh’ ich dadurch eine Suͤnde an Ama- lien? — Antworte mir hierauf, ich glaub’ es nicht, ich liebe ſie, ich werde ſie lieben, aber ſoll mir dieſe Liebe ein Geſetz ſeyn, ge-
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[146[144]/0154]
Liebe, die Voͤgel ſangen der Goͤttinn Lieder, ſie
wandelte im Hauche des Zephyrs durch den
Garten und gaukelte in den Lindenbluͤthen:
mir war’s, als koͤnnt’ ich unter den goldenen
Schimmern des Firmaments den roſengekraͤnz-
ten Engel ſehn, der den tauſendfachen Seegen
uͤber die Natur ausgießt; wie ſich die ganze le-
bende und lebloſe Natur kindlich zu ihm draͤngt
um zu empfangen und ſich zu freuen, — o es
war eine der wonnevollſten Stunden meines
Lebens.
Ich war hundertmahl im Begriffe, ihr mei-
ne Empfindungen zu geſtehn, ſie in einer blin-
den Begeiſterung an mein Herz zu druͤcken,
mich kuͤhn zu ihrer Hoheit emporzureiſſen, —
aber Amaliens Andenken hielt mich grauſam
ernſt zuruͤck. — Aber ich will, ich muß ihr
geſtehn, was ich empfinde, ohne Mittheilung
zerſprengt dies Gefuͤhl meinen Buſen.
Begeh’ ich dadurch eine Suͤnde an Ama-
lien? — Antworte mir hierauf, ich glaub’
es nicht, ich liebe ſie, ich werde ſie lieben,
aber ſoll mir dieſe Liebe ein Geſetz ſeyn, ge-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 146[144]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/154>, abgerufen am 24.11.2024.
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