Gesellschaft und scheint sie doch vermeiden zu wollen; so viel Herzensgüte, Sanftmuth und Verstand hab' ich noch bei keinem Mäd- chen gefunden. Sie ist vielleicht klüger und wirklich schöner als Amalie, -- aber sie soll nicht jenes Bild verdunkeln, welches bis itzt immer so hell in meiner Seele gestanden hat. Aber darum kann ich mir ja doch gestehn, daß sie liebenswürdig ist, daß sie zu den Ersten ihres Geschlechts gehört; warum sollt' ich ihr Unrecht thun, bloß um gegen Amalien gerecht zu seyn? -- Und sie empfindet wirklich tief, ihre zarte Seele ist nicht durch jenen witzigen Weltton der Franzosen verdorben, sie ist ein ein- faches Kind der Natur, ohne alle Prätension und Verstellung, ich habe sie beim Anblicke des Elends gerührt gesehn, -- sie ist ein himmli- sches Geschöpf!
Ich schäme mich meiner Begeisterung; doch mag ich Dir auch den leisesten Klang meiner Seele nicht verheimlichen, und eben darum will ich Dir auch gestehn, daß mich Deine Gedan- ken in Deinem letzten Briefe nicht ganz befrie- digen. -- Der Verstand kann gewiß an jedem
Geſellſchaft und ſcheint ſie doch vermeiden zu wollen; ſo viel Herzensguͤte, Sanftmuth und Verſtand hab’ ich noch bei keinem Maͤd- chen gefunden. Sie iſt vielleicht kluͤger und wirklich ſchoͤner als Amalie, — aber ſie ſoll nicht jenes Bild verdunkeln, welches bis itzt immer ſo hell in meiner Seele geſtanden hat. Aber darum kann ich mir ja doch geſtehn, daß ſie liebenswuͤrdig iſt, daß ſie zu den Erſten ihres Geſchlechts gehoͤrt; warum ſollt’ ich ihr Unrecht thun, bloß um gegen Amalien gerecht zu ſeyn? — Und ſie empfindet wirklich tief, ihre zarte Seele iſt nicht durch jenen witzigen Weltton der Franzoſen verdorben, ſie iſt ein ein- faches Kind der Natur, ohne alle Praͤtenſion und Verſtellung, ich habe ſie beim Anblicke des Elends geruͤhrt geſehn, — ſie iſt ein himmli- ſches Geſchoͤpf!
Ich ſchaͤme mich meiner Begeiſterung; doch mag ich Dir auch den leiſeſten Klang meiner Seele nicht verheimlichen, und eben darum will ich Dir auch geſtehn, daß mich Deine Gedan- ken in Deinem letzten Briefe nicht ganz befrie- digen. — Der Verſtand kann gewiß an jedem
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[123[121]/0131]
Geſellſchaft und ſcheint ſie doch vermeiden
zu wollen; ſo viel Herzensguͤte, Sanftmuth
und Verſtand hab’ ich noch bei keinem Maͤd-
chen gefunden. Sie iſt vielleicht kluͤger
und wirklich ſchoͤner als Amalie, — aber ſie
ſoll nicht jenes Bild verdunkeln, welches bis
itzt immer ſo hell in meiner Seele geſtanden
hat. Aber darum kann ich mir ja doch geſtehn,
daß ſie liebenswuͤrdig iſt, daß ſie zu den Erſten
ihres Geſchlechts gehoͤrt; warum ſollt’ ich ihr
Unrecht thun, bloß um gegen Amalien gerecht
zu ſeyn? — Und ſie empfindet wirklich tief,
ihre zarte Seele iſt nicht durch jenen witzigen
Weltton der Franzoſen verdorben, ſie iſt ein ein-
faches Kind der Natur, ohne alle Praͤtenſion
und Verſtellung, ich habe ſie beim Anblicke des
Elends geruͤhrt geſehn, — ſie iſt ein himmli-
ſches Geſchoͤpf!
Ich ſchaͤme mich meiner Begeiſterung; doch
mag ich Dir auch den leiſeſten Klang meiner
Seele nicht verheimlichen, und eben darum will
ich Dir auch geſtehn, daß mich Deine Gedan-
ken in Deinem letzten Briefe nicht ganz befrie-
digen. — Der Verſtand kann gewiß an jedem
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 123[121]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/131>, abgerufen am 18.12.2024.
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