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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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Vielleicht sind die Schatten dieser Melan-
cholie indeß schon vorübergezogen und ein heite-
rer Brief von Dir ist auf dem Wege hierher:
auch in diesem Falle wird mein William seinem
Eduard verzeihen. -- Ich glaube aber, daß Du
dem guten Mortimer sehr Unrecht thust, ein
falscher Blick in die Seele eines Menschen bei
der ersten Bekanntschaft kann uns ihn auf lan-
ge unverständlich machen, und ich glaube, daß
dies hier der Fall ist, ich habe ihn von Leuten,
die ich sehr schätze, loben hören, auch Dein Va-
ter achtet ihn sehr.

Träume, lieber William, und berausche Dich
in Enthusiasmus und Begeisterung, -- nur
glaube mir, daß zum Handeln eine Art von
Kälte nothwendig ist, glaube mir, daß jener
Taumel sehr leicht zur Erschlaffung führt. Ich
fürchte, daß Dein neuer Freund Dir schon itzt
seine finstre Laune mitgetheilt hat, die eben so
gut, wie die Heiterkeit, ansteckend ist, vorzüg-
lich bei Deinen reizbaren Empfindungen, bei
Deiner feurigen Phantasie. -- Zürne aber nicht
auf mich, wenn ich so oft den Philosophen spie-
le, wär' ich weniger Dein Freund, so würd' ich
mehr schüchtern seyn.


Vielleicht ſind die Schatten dieſer Melan-
cholie indeß ſchon voruͤbergezogen und ein heite-
rer Brief von Dir iſt auf dem Wege hierher:
auch in dieſem Falle wird mein William ſeinem
Eduard verzeihen. — Ich glaube aber, daß Du
dem guten Mortimer ſehr Unrecht thuſt, ein
falſcher Blick in die Seele eines Menſchen bei
der erſten Bekanntſchaft kann uns ihn auf lan-
ge unverſtaͤndlich machen, und ich glaube, daß
dies hier der Fall iſt, ich habe ihn von Leuten,
die ich ſehr ſchaͤtze, loben hoͤren, auch Dein Va-
ter achtet ihn ſehr.

Traͤume, lieber William, und berauſche Dich
in Enthuſiasmus und Begeiſterung, — nur
glaube mir, daß zum Handeln eine Art von
Kaͤlte nothwendig iſt, glaube mir, daß jener
Taumel ſehr leicht zur Erſchlaffung fuͤhrt. Ich
fuͤrchte, daß Dein neuer Freund Dir ſchon itzt
ſeine finſtre Laune mitgetheilt hat, die eben ſo
gut, wie die Heiterkeit, anſteckend iſt, vorzuͤg-
lich bei Deinen reizbaren Empfindungen, bei
Deiner feurigen Phantaſie. — Zuͤrne aber nicht
auf mich, wenn ich ſo oft den Philoſophen ſpie-
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[104[102]/0112] Vielleicht ſind die Schatten dieſer Melan- cholie indeß ſchon voruͤbergezogen und ein heite- rer Brief von Dir iſt auf dem Wege hierher: auch in dieſem Falle wird mein William ſeinem Eduard verzeihen. — Ich glaube aber, daß Du dem guten Mortimer ſehr Unrecht thuſt, ein falſcher Blick in die Seele eines Menſchen bei der erſten Bekanntſchaft kann uns ihn auf lan- ge unverſtaͤndlich machen, und ich glaube, daß dies hier der Fall iſt, ich habe ihn von Leuten, die ich ſehr ſchaͤtze, loben hoͤren, auch Dein Va- ter achtet ihn ſehr. Traͤume, lieber William, und berauſche Dich in Enthuſiasmus und Begeiſterung, — nur glaube mir, daß zum Handeln eine Art von Kaͤlte nothwendig iſt, glaube mir, daß jener Taumel ſehr leicht zur Erſchlaffung fuͤhrt. Ich fuͤrchte, daß Dein neuer Freund Dir ſchon itzt ſeine finſtre Laune mitgetheilt hat, die eben ſo gut, wie die Heiterkeit, anſteckend iſt, vorzuͤg- lich bei Deinen reizbaren Empfindungen, bei Deiner feurigen Phantaſie. — Zuͤrne aber nicht auf mich, wenn ich ſo oft den Philoſophen ſpie- le, waͤr’ ich weniger Dein Freund, ſo wuͤrd’ ich mehr ſchuͤchtern ſeyn.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 104[102]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/112>, abgerufen am 22.11.2024.