Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

singen so gut wie die modernen das Lied des neunzehnten Jahrhunderts, und immer in den gewohnten Tieck'schen Koloraturen. Dabei zeigt sich in der Charakteristik etwas Schwankendes, ein Uebergehen von einer Richtung zu der andern, ja eine bedenkliche Hinneigung zu zweideutigen oder gar unzweideutig verwerflichen Charakteren, welchen mit einer gewissen ironischen Salbung Absolution ertheilt wird; so daß man im Grunde wenig verändert in der neuen Form doch wieder das alte Wesen der Romantik zu erkennen glaubt, jener Welt des Unbestimmten, des ironischen Zerfließens aller Gedanken und Grundsätze.

So ist denn die That, mit welcher die neue Epoche begann, eigentlich nicht weit über den guten Vorsatz hinaus gekommen. Aber auch diese unvollkommene Stufe brachte einen Fortschritt von großer Wirkung, indem die Nachstrebenden ein Vorbild vor sich hatten, dessen richtiger Intention sie nur zu folgen brauchten, um über die mangelhafte Gestaltung hinweg zu künstlerischer Plastik zu gelangen; ein Vorbild, durch welches um so mehr das Bewußtsein geweckt werden mußte, weil es von dem alten Zauberer selbst herrührte, der seinen Stab wegwarf und aus der "mondbeglänzten Zaubernacht" hervor an das Licht des Tages trat.

Auch war das erste Auftreten ein glänzendes, ja glänzender als die meisten der späteren Hervorbringungen, sofern "Die Gemälde" in Gehalt und Kraft der Behandlung sich mehr gleich bleiben, mehr aus Einem Gusse gearbeitet sind, als ihre jüngeren Geschwister. Die Redner sind noch frisch bei Athem, nicht so müde und ermüdend, wie sie im Laufe der Tieck'schen Novellenproduction immer mehr werden; sie sprechen sich so lebhaft aus, daß sie etwas lebendiger scheinen, als sie vielleicht in Wirklichkeit sind. Ueberdies erhebt sich das Gespräch mitunter zu

singen so gut wie die modernen das Lied des neunzehnten Jahrhunderts, und immer in den gewohnten Tieck'schen Koloraturen. Dabei zeigt sich in der Charakteristik etwas Schwankendes, ein Uebergehen von einer Richtung zu der andern, ja eine bedenkliche Hinneigung zu zweideutigen oder gar unzweideutig verwerflichen Charakteren, welchen mit einer gewissen ironischen Salbung Absolution ertheilt wird; so daß man im Grunde wenig verändert in der neuen Form doch wieder das alte Wesen der Romantik zu erkennen glaubt, jener Welt des Unbestimmten, des ironischen Zerfließens aller Gedanken und Grundsätze.

So ist denn die That, mit welcher die neue Epoche begann, eigentlich nicht weit über den guten Vorsatz hinaus gekommen. Aber auch diese unvollkommene Stufe brachte einen Fortschritt von großer Wirkung, indem die Nachstrebenden ein Vorbild vor sich hatten, dessen richtiger Intention sie nur zu folgen brauchten, um über die mangelhafte Gestaltung hinweg zu künstlerischer Plastik zu gelangen; ein Vorbild, durch welches um so mehr das Bewußtsein geweckt werden mußte, weil es von dem alten Zauberer selbst herrührte, der seinen Stab wegwarf und aus der „mondbeglänzten Zaubernacht“ hervor an das Licht des Tages trat.

Auch war das erste Auftreten ein glänzendes, ja glänzender als die meisten der späteren Hervorbringungen, sofern „Die Gemälde“ in Gehalt und Kraft der Behandlung sich mehr gleich bleiben, mehr aus Einem Gusse gearbeitet sind, als ihre jüngeren Geschwister. Die Redner sind noch frisch bei Athem, nicht so müde und ermüdend, wie sie im Laufe der Tieck'schen Novellenproduction immer mehr werden; sie sprechen sich so lebhaft aus, daß sie etwas lebendiger scheinen, als sie vielleicht in Wirklichkeit sind. Ueberdies erhebt sich das Gespräch mitunter zu

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface">
        <p><pb facs="#f0008"/>
singen so             gut wie die modernen das Lied des neunzehnten Jahrhunderts, und immer in den gewohnten             Tieck'schen Koloraturen. Dabei zeigt sich in der Charakteristik etwas Schwankendes, ein             Uebergehen von einer Richtung zu der andern, ja eine bedenkliche Hinneigung zu             zweideutigen oder gar unzweideutig verwerflichen Charakteren, welchen mit einer gewissen             ironischen Salbung Absolution ertheilt wird; so daß man im Grunde wenig verändert in der             neuen Form doch wieder das alte Wesen der Romantik zu erkennen glaubt, jener Welt des             Unbestimmten, des ironischen Zerfließens aller Gedanken und Grundsätze.</p><lb/>
        <p>So ist denn die That, mit welcher die neue Epoche begann, eigentlich nicht weit über den             guten Vorsatz hinaus gekommen. Aber auch diese unvollkommene Stufe brachte einen             Fortschritt von großer Wirkung, indem die Nachstrebenden ein Vorbild vor sich hatten,             dessen richtiger Intention sie nur zu folgen brauchten, um über die mangelhafte             Gestaltung hinweg zu künstlerischer Plastik zu gelangen; ein Vorbild, durch welches um             so mehr das Bewußtsein geweckt werden mußte, weil es von dem alten Zauberer selbst             herrührte, der seinen Stab wegwarf und aus der &#x201E;mondbeglänzten Zaubernacht&#x201C; hervor an             das Licht des Tages trat.</p><lb/>
        <p>Auch war das erste Auftreten ein glänzendes, ja glänzender als die meisten der späteren             Hervorbringungen, sofern &#x201E;Die Gemälde&#x201C; in Gehalt und Kraft der Behandlung sich mehr             gleich bleiben, mehr aus Einem Gusse gearbeitet sind, als ihre jüngeren Geschwister. Die             Redner sind noch frisch bei Athem, nicht so müde und ermüdend, wie sie im Laufe der             Tieck'schen Novellenproduction immer mehr werden; sie sprechen sich so lebhaft aus, daß             sie etwas lebendiger scheinen, als sie vielleicht in Wirklichkeit sind. Ueberdies erhebt             sich das Gespräch mitunter zu<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0008] singen so gut wie die modernen das Lied des neunzehnten Jahrhunderts, und immer in den gewohnten Tieck'schen Koloraturen. Dabei zeigt sich in der Charakteristik etwas Schwankendes, ein Uebergehen von einer Richtung zu der andern, ja eine bedenkliche Hinneigung zu zweideutigen oder gar unzweideutig verwerflichen Charakteren, welchen mit einer gewissen ironischen Salbung Absolution ertheilt wird; so daß man im Grunde wenig verändert in der neuen Form doch wieder das alte Wesen der Romantik zu erkennen glaubt, jener Welt des Unbestimmten, des ironischen Zerfließens aller Gedanken und Grundsätze. So ist denn die That, mit welcher die neue Epoche begann, eigentlich nicht weit über den guten Vorsatz hinaus gekommen. Aber auch diese unvollkommene Stufe brachte einen Fortschritt von großer Wirkung, indem die Nachstrebenden ein Vorbild vor sich hatten, dessen richtiger Intention sie nur zu folgen brauchten, um über die mangelhafte Gestaltung hinweg zu künstlerischer Plastik zu gelangen; ein Vorbild, durch welches um so mehr das Bewußtsein geweckt werden mußte, weil es von dem alten Zauberer selbst herrührte, der seinen Stab wegwarf und aus der „mondbeglänzten Zaubernacht“ hervor an das Licht des Tages trat. Auch war das erste Auftreten ein glänzendes, ja glänzender als die meisten der späteren Hervorbringungen, sofern „Die Gemälde“ in Gehalt und Kraft der Behandlung sich mehr gleich bleiben, mehr aus Einem Gusse gearbeitet sind, als ihre jüngeren Geschwister. Die Redner sind noch frisch bei Athem, nicht so müde und ermüdend, wie sie im Laufe der Tieck'schen Novellenproduction immer mehr werden; sie sprechen sich so lebhaft aus, daß sie etwas lebendiger scheinen, als sie vielleicht in Wirklichkeit sind. Ueberdies erhebt sich das Gespräch mitunter zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/8
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/8>, abgerufen am 09.11.2024.