Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

bisher nothwendig gewesen ist, um mich wohl zu befinden, so wird es in Zukunft die Arbeit nicht weniger sein. -- Aber wann, wann wird denn dies erwünschte goldne Zeitalter meines edlern Bewußtseins wirklich und wahrhaft in mir sein, daß ich mit Befriedigung und Wohlbehagen die Gegenstände vor mir und mich selbst werde betrachten können? Jetzt sind es doch nur noch Vorsätze und liebliche Hoffnungen, die blühen und locken; und, ach! werde ich nicht auf halbem Wege, vielleicht schon auf dem Anfange meiner Bahn ermatten?

Er sah die Rose zärtlich an, die im Wasserglase ihm glühend entgegen lachte. Er nahm sie und drückte mit zarter Berührung einen leisen Kuß in ihre Blätter und hauchte einen Seufzer in den Kelch. Dann stellte er sie behutsam in das nährende Element zurück. Er hatte sie neulich, schon verwelkt, in seinem Busen wieder gesunden; seit der Stunde, daß sie im Fluge sein Gesicht berührt hatte, war er ein andrer Mensch geworden, ohne daß er es sich selber gestehen wollte. Man ist nie so abergläubisch und merkt so gern auf Vorbedeutungen, als wenn das Herz recht erschüttert ist und aus dem Sturm der Gefühle ein neues Leben sich erzeugen will. Eduard merkte selbst nicht, wie sehr ihm die kleine Blume Sophien selbst gegenwärtig machte, und da er Alles und sich selbst beinah verloren hatte, so sollte die welke Pflanze sein Orakel sein, ob sie sich wieder erfrische und auch ihm ein neues Glück verkündigen wolle. Da sie aber nach einigen Stunden sich im Wasser nicht ent-

bisher nothwendig gewesen ist, um mich wohl zu befinden, so wird es in Zukunft die Arbeit nicht weniger sein. — Aber wann, wann wird denn dies erwünschte goldne Zeitalter meines edlern Bewußtseins wirklich und wahrhaft in mir sein, daß ich mit Befriedigung und Wohlbehagen die Gegenstände vor mir und mich selbst werde betrachten können? Jetzt sind es doch nur noch Vorsätze und liebliche Hoffnungen, die blühen und locken; und, ach! werde ich nicht auf halbem Wege, vielleicht schon auf dem Anfange meiner Bahn ermatten?

Er sah die Rose zärtlich an, die im Wasserglase ihm glühend entgegen lachte. Er nahm sie und drückte mit zarter Berührung einen leisen Kuß in ihre Blätter und hauchte einen Seufzer in den Kelch. Dann stellte er sie behutsam in das nährende Element zurück. Er hatte sie neulich, schon verwelkt, in seinem Busen wieder gesunden; seit der Stunde, daß sie im Fluge sein Gesicht berührt hatte, war er ein andrer Mensch geworden, ohne daß er es sich selber gestehen wollte. Man ist nie so abergläubisch und merkt so gern auf Vorbedeutungen, als wenn das Herz recht erschüttert ist und aus dem Sturm der Gefühle ein neues Leben sich erzeugen will. Eduard merkte selbst nicht, wie sehr ihm die kleine Blume Sophien selbst gegenwärtig machte, und da er Alles und sich selbst beinah verloren hatte, so sollte die welke Pflanze sein Orakel sein, ob sie sich wieder erfrische und auch ihm ein neues Glück verkündigen wolle. Da sie aber nach einigen Stunden sich im Wasser nicht ent-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="4">
        <p><pb facs="#f0065"/>
bisher                nothwendig gewesen ist, um mich wohl zu befinden, so wird es in Zukunft die Arbeit                nicht weniger sein. &#x2014; Aber wann, wann wird denn dies erwünschte goldne Zeitalter                meines edlern Bewußtseins wirklich und wahrhaft in mir sein, daß ich mit Befriedigung                und Wohlbehagen die Gegenstände vor mir und mich selbst werde betrachten können?                Jetzt sind es doch nur noch Vorsätze und liebliche Hoffnungen, die blühen und locken;                und, ach! werde ich nicht auf halbem Wege, vielleicht schon auf dem Anfange meiner                Bahn ermatten?</p><lb/>
        <p>Er sah die Rose zärtlich an, die im Wasserglase ihm glühend entgegen lachte. Er nahm                sie und drückte mit zarter Berührung einen leisen Kuß in ihre Blätter und hauchte                einen Seufzer in den Kelch. Dann stellte er sie behutsam in das nährende Element                zurück. Er hatte sie neulich, schon verwelkt, in seinem Busen wieder gesunden; seit                der Stunde, daß sie im Fluge sein Gesicht berührt hatte, war er ein andrer Mensch                geworden, ohne daß er es sich selber gestehen wollte. Man ist nie so abergläubisch                und merkt so gern auf Vorbedeutungen, als wenn das Herz recht erschüttert ist und aus                dem Sturm der Gefühle ein neues Leben sich erzeugen will. Eduard merkte selbst nicht,                wie sehr ihm die kleine Blume Sophien selbst gegenwärtig machte, und da er Alles und                sich selbst beinah verloren hatte, so sollte die welke Pflanze sein Orakel sein, ob                sie sich wieder erfrische und auch ihm ein neues Glück verkündigen wolle. Da sie aber                nach einigen Stunden sich im Wasser nicht ent-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0065] bisher nothwendig gewesen ist, um mich wohl zu befinden, so wird es in Zukunft die Arbeit nicht weniger sein. — Aber wann, wann wird denn dies erwünschte goldne Zeitalter meines edlern Bewußtseins wirklich und wahrhaft in mir sein, daß ich mit Befriedigung und Wohlbehagen die Gegenstände vor mir und mich selbst werde betrachten können? Jetzt sind es doch nur noch Vorsätze und liebliche Hoffnungen, die blühen und locken; und, ach! werde ich nicht auf halbem Wege, vielleicht schon auf dem Anfange meiner Bahn ermatten? Er sah die Rose zärtlich an, die im Wasserglase ihm glühend entgegen lachte. Er nahm sie und drückte mit zarter Berührung einen leisen Kuß in ihre Blätter und hauchte einen Seufzer in den Kelch. Dann stellte er sie behutsam in das nährende Element zurück. Er hatte sie neulich, schon verwelkt, in seinem Busen wieder gesunden; seit der Stunde, daß sie im Fluge sein Gesicht berührt hatte, war er ein andrer Mensch geworden, ohne daß er es sich selber gestehen wollte. Man ist nie so abergläubisch und merkt so gern auf Vorbedeutungen, als wenn das Herz recht erschüttert ist und aus dem Sturm der Gefühle ein neues Leben sich erzeugen will. Eduard merkte selbst nicht, wie sehr ihm die kleine Blume Sophien selbst gegenwärtig machte, und da er Alles und sich selbst beinah verloren hatte, so sollte die welke Pflanze sein Orakel sein, ob sie sich wieder erfrische und auch ihm ein neues Glück verkündigen wolle. Da sie aber nach einigen Stunden sich im Wasser nicht ent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/65
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/65>, abgerufen am 28.11.2024.