Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.das Spiel der lebendigsten Phantasie waren ihm vorbehalten. Und ist dem jungen Wallfahrer sein Herz noch für den Reichthum dieses glänzenden Geistes verschlossen, so wandre er nur nach Mantua, um dort in dem Palast Te kennen zu lernen, was Erd' und Himmel, möcht' ich fast sagen, Herrliches in sich fassen; wie in den Schrecken des Riesensturzes noch Lust und Scherz gaukeln, und in dem Saale des Amor und Psyche in der Trunkenheit des Entzückens die himmlische Erscheinung der vollendeten Schönheit sich verkläret. Der junge Dietrich sah seinen abtrünnigen Anhänger schon seit lange mit großen Augen an; er konnte diesen Abfall nicht begreifen und nahm sich vor, mit dem Alten in einer vertrauten Stunde darüber zu sprechen; denn wenn er auch die Bewunderung des Julius gelten ließ, so schien ihm doch die erste Hälfte des Gesprächs geradezu im Widerspruch mit der früheren Aeußerung Eulenböck's zu stehen, der sich aber um dergleichen Nebendinge nicht kümmerte, sondern sich mit dem fremden Kunstfreunde in so lebhaften Enthusiasmus hineinschwatzte, daß Beide auf lange Zeit weder die Uebrigen hörten, noch sie zu Worte kommen ließen. Erich wollte eine Aehnlichkeit des Fremden mit einem Verwandten Walther's bemerken; darüber kam man in das Kapitel der Aehnlichkeiten, und wie sonderbar sich in den Familien, oft in der fernsten Verzweigung am deutlichsten, gewisse Formen wiederholen. Sonderbar ist es auch, sagte der Wirth, daß die Natur oft ganz wie das Spiel der lebendigsten Phantasie waren ihm vorbehalten. Und ist dem jungen Wallfahrer sein Herz noch für den Reichthum dieses glänzenden Geistes verschlossen, so wandre er nur nach Mantua, um dort in dem Palast Te kennen zu lernen, was Erd' und Himmel, möcht' ich fast sagen, Herrliches in sich fassen; wie in den Schrecken des Riesensturzes noch Lust und Scherz gaukeln, und in dem Saale des Amor und Psyche in der Trunkenheit des Entzückens die himmlische Erscheinung der vollendeten Schönheit sich verkläret. Der junge Dietrich sah seinen abtrünnigen Anhänger schon seit lange mit großen Augen an; er konnte diesen Abfall nicht begreifen und nahm sich vor, mit dem Alten in einer vertrauten Stunde darüber zu sprechen; denn wenn er auch die Bewunderung des Julius gelten ließ, so schien ihm doch die erste Hälfte des Gesprächs geradezu im Widerspruch mit der früheren Aeußerung Eulenböck's zu stehen, der sich aber um dergleichen Nebendinge nicht kümmerte, sondern sich mit dem fremden Kunstfreunde in so lebhaften Enthusiasmus hineinschwatzte, daß Beide auf lange Zeit weder die Uebrigen hörten, noch sie zu Worte kommen ließen. Erich wollte eine Aehnlichkeit des Fremden mit einem Verwandten Walther's bemerken; darüber kam man in das Kapitel der Aehnlichkeiten, und wie sonderbar sich in den Familien, oft in der fernsten Verzweigung am deutlichsten, gewisse Formen wiederholen. Sonderbar ist es auch, sagte der Wirth, daß die Natur oft ganz wie <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0045"/> das Spiel der lebendigsten Phantasie waren ihm vorbehalten. Und ist dem jungen Wallfahrer sein Herz noch für den Reichthum dieses glänzenden Geistes verschlossen, so wandre er nur nach Mantua, um dort in dem Palast Te kennen zu lernen, was Erd' und Himmel, möcht' ich fast sagen, Herrliches in sich fassen; wie in den Schrecken des Riesensturzes noch Lust und Scherz gaukeln, und in dem Saale des Amor und Psyche in der Trunkenheit des Entzückens die himmlische Erscheinung der vollendeten Schönheit sich verkläret.</p><lb/> <p>Der junge Dietrich sah seinen abtrünnigen Anhänger schon seit lange mit großen Augen an; er konnte diesen Abfall nicht begreifen und nahm sich vor, mit dem Alten in einer vertrauten Stunde darüber zu sprechen; denn wenn er auch die Bewunderung des Julius gelten ließ, so schien ihm doch die erste Hälfte des Gesprächs geradezu im Widerspruch mit der früheren Aeußerung Eulenböck's zu stehen, der sich aber um dergleichen Nebendinge nicht kümmerte, sondern sich mit dem fremden Kunstfreunde in so lebhaften Enthusiasmus hineinschwatzte, daß Beide auf lange Zeit weder die Uebrigen hörten, noch sie zu Worte kommen ließen.</p><lb/> <p>Erich wollte eine Aehnlichkeit des Fremden mit einem Verwandten Walther's bemerken; darüber kam man in das Kapitel der Aehnlichkeiten, und wie sonderbar sich in den Familien, oft in der fernsten Verzweigung am deutlichsten, gewisse Formen wiederholen. Sonderbar ist es auch, sagte der Wirth, daß die Natur oft ganz wie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0045]
das Spiel der lebendigsten Phantasie waren ihm vorbehalten. Und ist dem jungen Wallfahrer sein Herz noch für den Reichthum dieses glänzenden Geistes verschlossen, so wandre er nur nach Mantua, um dort in dem Palast Te kennen zu lernen, was Erd' und Himmel, möcht' ich fast sagen, Herrliches in sich fassen; wie in den Schrecken des Riesensturzes noch Lust und Scherz gaukeln, und in dem Saale des Amor und Psyche in der Trunkenheit des Entzückens die himmlische Erscheinung der vollendeten Schönheit sich verkläret.
Der junge Dietrich sah seinen abtrünnigen Anhänger schon seit lange mit großen Augen an; er konnte diesen Abfall nicht begreifen und nahm sich vor, mit dem Alten in einer vertrauten Stunde darüber zu sprechen; denn wenn er auch die Bewunderung des Julius gelten ließ, so schien ihm doch die erste Hälfte des Gesprächs geradezu im Widerspruch mit der früheren Aeußerung Eulenböck's zu stehen, der sich aber um dergleichen Nebendinge nicht kümmerte, sondern sich mit dem fremden Kunstfreunde in so lebhaften Enthusiasmus hineinschwatzte, daß Beide auf lange Zeit weder die Uebrigen hörten, noch sie zu Worte kommen ließen.
Erich wollte eine Aehnlichkeit des Fremden mit einem Verwandten Walther's bemerken; darüber kam man in das Kapitel der Aehnlichkeiten, und wie sonderbar sich in den Familien, oft in der fernsten Verzweigung am deutlichsten, gewisse Formen wiederholen. Sonderbar ist es auch, sagte der Wirth, daß die Natur oft ganz wie
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/45>, abgerufen am 16.02.2025. |