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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mit seinem Marienbilde bald fertig sei, oder ob er vorher die Abnahme vom Kreuz vollenden wolle?

Sie malen also auch dergleichen rührende Gegenstände? fragte der Unbekannte, indem er mit einem fast schielenden Blicke zum jungen Manne herüber blinzelte. Mich wundert es immer von Neuem, daß Menschen in ihren besten und heitersten Jahren mit dergleichen Gegenständen ihre Zeit und Imagination verderben können. Der heiligen Familien haben mir wohl, dächte ich, in der Kunst genug; da ist nichts Neues anzubringen und zu erfinden, und jene Leichname und Verzerrungen des Schmerzes widerstreben so völlig allem Reiz und dem Genuß der Sinne, daß ich mein Auge immer davon abwenden muß. Die Kunst soll unser Leben erhöhen und erheitern, alle Dürftigkeiten desselben und aller Jammer der Welt soll uns in ihrer Nähe verschwinden; nicht aber darf unsre Phantasie durch ihre Hervorbringungen geängstigt und gefoltert werden. Im heitern, frischen Licht soll die Sinnenwelt spielen und in freundlichem Reiz uns schmeicheln und auf diese Weise erheben. Schönheit ist Freude, Leben, Kraft. Der hat sich noch wenig verstanden, der Nacht und düstre Gefühle sucht. Oder gehören Sie auch etwa zu denen, die sich vor dergleichen Bildern mit erzwungener Gläubigkeit entzücken und verlangen, daß in uns eine Art von Andacht sich entzünden soll, um den Gegenstand zu verstehen und christlich zu würdigen?

Und wäre denn das, rief Dietrich mit einer ge-

mit seinem Marienbilde bald fertig sei, oder ob er vorher die Abnahme vom Kreuz vollenden wolle?

Sie malen also auch dergleichen rührende Gegenstände? fragte der Unbekannte, indem er mit einem fast schielenden Blicke zum jungen Manne herüber blinzelte. Mich wundert es immer von Neuem, daß Menschen in ihren besten und heitersten Jahren mit dergleichen Gegenständen ihre Zeit und Imagination verderben können. Der heiligen Familien haben mir wohl, dächte ich, in der Kunst genug; da ist nichts Neues anzubringen und zu erfinden, und jene Leichname und Verzerrungen des Schmerzes widerstreben so völlig allem Reiz und dem Genuß der Sinne, daß ich mein Auge immer davon abwenden muß. Die Kunst soll unser Leben erhöhen und erheitern, alle Dürftigkeiten desselben und aller Jammer der Welt soll uns in ihrer Nähe verschwinden; nicht aber darf unsre Phantasie durch ihre Hervorbringungen geängstigt und gefoltert werden. Im heitern, frischen Licht soll die Sinnenwelt spielen und in freundlichem Reiz uns schmeicheln und auf diese Weise erheben. Schönheit ist Freude, Leben, Kraft. Der hat sich noch wenig verstanden, der Nacht und düstre Gefühle sucht. Oder gehören Sie auch etwa zu denen, die sich vor dergleichen Bildern mit erzwungener Gläubigkeit entzücken und verlangen, daß in uns eine Art von Andacht sich entzünden soll, um den Gegenstand zu verstehen und christlich zu würdigen?

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[0040] mit seinem Marienbilde bald fertig sei, oder ob er vorher die Abnahme vom Kreuz vollenden wolle? Sie malen also auch dergleichen rührende Gegenstände? fragte der Unbekannte, indem er mit einem fast schielenden Blicke zum jungen Manne herüber blinzelte. Mich wundert es immer von Neuem, daß Menschen in ihren besten und heitersten Jahren mit dergleichen Gegenständen ihre Zeit und Imagination verderben können. Der heiligen Familien haben mir wohl, dächte ich, in der Kunst genug; da ist nichts Neues anzubringen und zu erfinden, und jene Leichname und Verzerrungen des Schmerzes widerstreben so völlig allem Reiz und dem Genuß der Sinne, daß ich mein Auge immer davon abwenden muß. Die Kunst soll unser Leben erhöhen und erheitern, alle Dürftigkeiten desselben und aller Jammer der Welt soll uns in ihrer Nähe verschwinden; nicht aber darf unsre Phantasie durch ihre Hervorbringungen geängstigt und gefoltert werden. Im heitern, frischen Licht soll die Sinnenwelt spielen und in freundlichem Reiz uns schmeicheln und auf diese Weise erheben. Schönheit ist Freude, Leben, Kraft. Der hat sich noch wenig verstanden, der Nacht und düstre Gefühle sucht. Oder gehören Sie auch etwa zu denen, die sich vor dergleichen Bildern mit erzwungener Gläubigkeit entzücken und verlangen, daß in uns eine Art von Andacht sich entzünden soll, um den Gegenstand zu verstehen und christlich zu würdigen? Und wäre denn das, rief Dietrich mit einer ge-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/40>, abgerufen am 25.11.2024.