Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Giebt es hier nicht auch das Classische und Vollendete, das Moderne und Triviale, das Manierirte und Gesuchte, das Lieblich-Alte und Fromm-Schlichte, das Gemüthliche und leer Renommirende? Jüngling, sagte der Alte, diese Frage ist zu verwickelt, setzt unendliche Erfahrung, historischen Ueberblick, abgelegtes Vorurtheil und einen nach allen Richtungen ausgebildeten Geschmack voraus, den nur viele Jahre, fortgesetzte Arbeit und unermüdliches Studium, so wie dir Mittel dazu, die nicht in Jedermanns Händen sind, fassen und lösen können. Einiges Encyklopädische wird dir hinreichen. Fast jeder Wein hat sein Gutes, fast alle verdienen gekannt zu werden. Ist in unserm Vaterlande der Neckar fast nur, den Durst zu löschen, da, so erhebt sich der Würzburger schon zum Edeln, und die vielfachen hohen Sorten des Rheinweins lassen sich nicht in der Eile charakterisiren. Ihr habt sie hier vor euch stehn gehabt und genossen. Diese trefflichen Wogen, vom leichten Laubenheimer bis zum starken Nierensteiner, gewaltigen Rüdesheimer und tiefsinnigen Hochheimer, mit allen ihren verwandten Fluthen gehörig zu preisen, dazu gehört mehr als die Zunge eines Redi, der in seinem toscanischen Dithyrambus doch nur mittelmäßig gefaselt hat. Diese Geister gehn rein und klar, kühlend und den Sinn erläuternd den Gaumen hinunter. Soll ich es vergleichen, so ist es die ruhige Gediegenheit trefflicher Schriftsteller, Gemüth und Fülle ohne Phantasterei oder schwärmerische Allegorie. Was ist nun der Giebt es hier nicht auch das Classische und Vollendete, das Moderne und Triviale, das Manierirte und Gesuchte, das Lieblich-Alte und Fromm-Schlichte, das Gemüthliche und leer Renommirende? Jüngling, sagte der Alte, diese Frage ist zu verwickelt, setzt unendliche Erfahrung, historischen Ueberblick, abgelegtes Vorurtheil und einen nach allen Richtungen ausgebildeten Geschmack voraus, den nur viele Jahre, fortgesetzte Arbeit und unermüdliches Studium, so wie dir Mittel dazu, die nicht in Jedermanns Händen sind, fassen und lösen können. Einiges Encyklopädische wird dir hinreichen. Fast jeder Wein hat sein Gutes, fast alle verdienen gekannt zu werden. Ist in unserm Vaterlande der Neckar fast nur, den Durst zu löschen, da, so erhebt sich der Würzburger schon zum Edeln, und die vielfachen hohen Sorten des Rheinweins lassen sich nicht in der Eile charakterisiren. Ihr habt sie hier vor euch stehn gehabt und genossen. Diese trefflichen Wogen, vom leichten Laubenheimer bis zum starken Nierensteiner, gewaltigen Rüdesheimer und tiefsinnigen Hochheimer, mit allen ihren verwandten Fluthen gehörig zu preisen, dazu gehört mehr als die Zunge eines Redi, der in seinem toscanischen Dithyrambus doch nur mittelmäßig gefaselt hat. Diese Geister gehn rein und klar, kühlend und den Sinn erläuternd den Gaumen hinunter. Soll ich es vergleichen, so ist es die ruhige Gediegenheit trefflicher Schriftsteller, Gemüth und Fülle ohne Phantasterei oder schwärmerische Allegorie. Was ist nun der <TEI> <text> <body> <div n="7"> <p><pb facs="#f0112"/> Giebt es hier nicht auch das Classische und Vollendete, das Moderne und Triviale, das Manierirte und Gesuchte, das Lieblich-Alte und Fromm-Schlichte, das Gemüthliche und leer Renommirende?</p><lb/> <p>Jüngling, sagte der Alte, diese Frage ist zu verwickelt, setzt unendliche Erfahrung, historischen Ueberblick, abgelegtes Vorurtheil und einen nach allen Richtungen ausgebildeten Geschmack voraus, den nur viele Jahre, fortgesetzte Arbeit und unermüdliches Studium, so wie dir Mittel dazu, die nicht in Jedermanns Händen sind, fassen und lösen können. Einiges Encyklopädische wird dir hinreichen. Fast jeder Wein hat sein Gutes, fast alle verdienen gekannt zu werden. Ist in unserm Vaterlande der Neckar fast nur, den Durst zu löschen, da, so erhebt sich der Würzburger schon zum Edeln, und die vielfachen hohen Sorten des Rheinweins lassen sich nicht in der Eile charakterisiren. Ihr habt sie hier vor euch stehn gehabt und genossen. Diese trefflichen Wogen, vom leichten Laubenheimer bis zum starken Nierensteiner, gewaltigen Rüdesheimer und tiefsinnigen Hochheimer, mit allen ihren verwandten Fluthen gehörig zu preisen, dazu gehört mehr als die Zunge eines Redi, der in seinem toscanischen Dithyrambus doch nur mittelmäßig gefaselt hat. Diese Geister gehn rein und klar, kühlend und den Sinn erläuternd den Gaumen hinunter. Soll ich es vergleichen, so ist es die ruhige Gediegenheit trefflicher Schriftsteller, Gemüth und Fülle ohne Phantasterei oder schwärmerische Allegorie. Was ist nun der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0112]
Giebt es hier nicht auch das Classische und Vollendete, das Moderne und Triviale, das Manierirte und Gesuchte, das Lieblich-Alte und Fromm-Schlichte, das Gemüthliche und leer Renommirende?
Jüngling, sagte der Alte, diese Frage ist zu verwickelt, setzt unendliche Erfahrung, historischen Ueberblick, abgelegtes Vorurtheil und einen nach allen Richtungen ausgebildeten Geschmack voraus, den nur viele Jahre, fortgesetzte Arbeit und unermüdliches Studium, so wie dir Mittel dazu, die nicht in Jedermanns Händen sind, fassen und lösen können. Einiges Encyklopädische wird dir hinreichen. Fast jeder Wein hat sein Gutes, fast alle verdienen gekannt zu werden. Ist in unserm Vaterlande der Neckar fast nur, den Durst zu löschen, da, so erhebt sich der Würzburger schon zum Edeln, und die vielfachen hohen Sorten des Rheinweins lassen sich nicht in der Eile charakterisiren. Ihr habt sie hier vor euch stehn gehabt und genossen. Diese trefflichen Wogen, vom leichten Laubenheimer bis zum starken Nierensteiner, gewaltigen Rüdesheimer und tiefsinnigen Hochheimer, mit allen ihren verwandten Fluthen gehörig zu preisen, dazu gehört mehr als die Zunge eines Redi, der in seinem toscanischen Dithyrambus doch nur mittelmäßig gefaselt hat. Diese Geister gehn rein und klar, kühlend und den Sinn erläuternd den Gaumen hinunter. Soll ich es vergleichen, so ist es die ruhige Gediegenheit trefflicher Schriftsteller, Gemüth und Fülle ohne Phantasterei oder schwärmerische Allegorie. Was ist nun der
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/112>, abgerufen am 22.02.2025. |