Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und aus sich selbst quillt der Mensch wie eine Pflanze hervor. Es ist eine platte Ansicht, zu glauben, daß der Wein unmittelbar, an sich selbst, alle die Wirkungen hervorbringt, die wir ihm zuschreiben; nein, wie ich sagte, sein Duft und Hauch erweckt nur die Qualitäten, die in uns ruhn. Nun stürzen sich die Kräfte, Gefühle und Entzückungen hervor, wenn sie von diesen Wellen getränkt werden. Meint man denn, daß es in aller Kunst und Wissenschaft anders sei? Ich brauche doch wohl die alte Platonische Idee nicht von Neuem vorzutragen. Rafael und Correggio und Titian regen nur mein eigenes Selbst an, das in Vergessenheit schlummert, und das größte Genie, der tiefste Kunstsinn können sich die Gebilde mit aller Imagination nicht erfinden die ihnen von den großen Meistern vorgehalten werden; und doch wecken diese Werke selbst nur die alten Erinnerungen auf. Daher auch die Sucht nach neuen geistigen Genüssen, die sonst nicht löblich sein würden; daher der Wunsch, Unbekanntes aufzufinden, Originelles hervorzubringen, der außerdem nur Unsinn wäre. Denn wir ahnen die Unendlichkeit der Erkenntniß in uns, diesen weissagenden Spiegel der Ewigkeit, und was diese uns werden kann, ein unaufhörlich neues Erkennen, das sich im Mittelpunkt einer himmlischen Ruhe sammelt, und von hier aus weiter nach neuen Regionen ausbreitet. Und darum eben, meine lieben Saufbrüder, muß es auch viele und mancherlei Weine geben. Und welchen ziehen Sie vor? fragte Dietrich. und aus sich selbst quillt der Mensch wie eine Pflanze hervor. Es ist eine platte Ansicht, zu glauben, daß der Wein unmittelbar, an sich selbst, alle die Wirkungen hervorbringt, die wir ihm zuschreiben; nein, wie ich sagte, sein Duft und Hauch erweckt nur die Qualitäten, die in uns ruhn. Nun stürzen sich die Kräfte, Gefühle und Entzückungen hervor, wenn sie von diesen Wellen getränkt werden. Meint man denn, daß es in aller Kunst und Wissenschaft anders sei? Ich brauche doch wohl die alte Platonische Idee nicht von Neuem vorzutragen. Rafael und Correggio und Titian regen nur mein eigenes Selbst an, das in Vergessenheit schlummert, und das größte Genie, der tiefste Kunstsinn können sich die Gebilde mit aller Imagination nicht erfinden die ihnen von den großen Meistern vorgehalten werden; und doch wecken diese Werke selbst nur die alten Erinnerungen auf. Daher auch die Sucht nach neuen geistigen Genüssen, die sonst nicht löblich sein würden; daher der Wunsch, Unbekanntes aufzufinden, Originelles hervorzubringen, der außerdem nur Unsinn wäre. Denn wir ahnen die Unendlichkeit der Erkenntniß in uns, diesen weissagenden Spiegel der Ewigkeit, und was diese uns werden kann, ein unaufhörlich neues Erkennen, das sich im Mittelpunkt einer himmlischen Ruhe sammelt, und von hier aus weiter nach neuen Regionen ausbreitet. Und darum eben, meine lieben Saufbrüder, muß es auch viele und mancherlei Weine geben. Und welchen ziehen Sie vor? fragte Dietrich. <TEI> <text> <body> <div n="7"> <p><pb facs="#f0111"/> und aus sich selbst quillt der Mensch wie eine Pflanze hervor. Es ist eine platte Ansicht, zu glauben, daß der Wein unmittelbar, an sich selbst, alle die Wirkungen hervorbringt, die wir ihm zuschreiben; nein, wie ich sagte, sein Duft und Hauch erweckt nur die Qualitäten, die in uns ruhn. Nun stürzen sich die Kräfte, Gefühle und Entzückungen hervor, wenn sie von diesen Wellen getränkt werden. Meint man denn, daß es in aller Kunst und Wissenschaft anders sei? Ich brauche doch wohl die alte Platonische Idee nicht von Neuem vorzutragen. Rafael und Correggio und Titian regen nur mein eigenes Selbst an, das in Vergessenheit schlummert, und das größte Genie, der tiefste Kunstsinn können sich die Gebilde mit aller Imagination nicht erfinden die ihnen von den großen Meistern vorgehalten werden; und doch wecken diese Werke selbst nur die alten Erinnerungen auf. Daher auch die Sucht nach neuen geistigen Genüssen, die sonst nicht löblich sein würden; daher der Wunsch, Unbekanntes aufzufinden, Originelles hervorzubringen, der außerdem nur Unsinn wäre. Denn wir ahnen die Unendlichkeit der Erkenntniß in uns, diesen weissagenden Spiegel der Ewigkeit, und was diese uns werden kann, ein unaufhörlich neues Erkennen, das sich im Mittelpunkt einer himmlischen Ruhe sammelt, und von hier aus weiter nach neuen Regionen ausbreitet. Und darum eben, meine lieben Saufbrüder, muß es auch viele und mancherlei Weine geben.</p><lb/> <p>Und welchen ziehen Sie vor? fragte Dietrich.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0111]
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/111>, abgerufen am 22.02.2025. |