Auf der Herreise von Jedo wird den Holländern allezeit mehr Freyheit, als auf der Hinreise verstattet. Wir bekamen auch die Erlaubniß, zu Miako verschiedne der größten, prächtigsten und die schönste Lage habenden Tempel zu besehen. Die Tempel liegen nirgends in den Städten selbst, sondern am Abhange der Berge und auf den Anhöhen draußen vor der Stadt, und haben die reitzendste Aussicht. Bey den hiesigen Tempeln sah ich durch Kunst angelegte Teiche, worin die Mönche ver- schiedne lebendige schwarze Schildkröten zu ihrem Vergnü- gen hielten. Der Tempel des Daibud ist unter allen der größte und merkwürdigste. Er ruhet auf sechs und neun- zig Pfeilern und hat verschiedne Eingänge, die zwar sehr hoch, aber dabey schmal sind. Das Gebäude besteht gleichsam aus zwey Stockwerken, die in einander laufen, und hat daher ein doppeltes Dach, wovon das obere durch unterschiedliche, über ein Klafter im Umfange ha- bende, angemahlte Pfeiler unterstützt wird. Der Fuß- boden ist, (welches mir vorher nirgends vorgekommen war), mit viereckigen Marmorsteinen belegt. Schade, -- denn weiter fehlte hier nichts -- daß die Japaner nicht so viel von der Baukunst verstehen, einem so großen und prächtigen Gebäude hinreichendes Licht zu verschaffen. Das Bild des Gottes steht beynahe in der Mitte. Sein Anblick erregt zu gleicher Zeit Entsetzen und Ehrfurcht: Entsetzen durch seine Größe, die schwerlich in der ganzen Welt ihres gleichen hat; Ehrfurcht, in Ansehung der Betrachtungen, die man dabey anzustellen Gelegenheit bekommt. Die Figur ist sitzend, und zwar auf India- nische Art, die Füße kreutzweise nach vorn gelegt. Die Statüe steht ungefähr ein Klafter hoch von der Erde, und ist vergoldet. Die Ohren sind lang, das Haar ge- kräuselt, die Schultern nackt, der Leib mit einem Schleyer
Ruͤckreiſe von Jedo nach Dezima.
Auf der Herreiſe von Jedo wird den Hollaͤndern allezeit mehr Freyheit, als auf der Hinreiſe verſtattet. Wir bekamen auch die Erlaubniß, zu Miako verſchiedne der groͤßten, praͤchtigſten und die ſchoͤnſte Lage habenden Tempel zu beſehen. Die Tempel liegen nirgends in den Staͤdten ſelbſt, ſondern am Abhange der Berge und auf den Anhoͤhen draußen vor der Stadt, und haben die reitzendſte Ausſicht. Bey den hieſigen Tempeln ſah ich durch Kunſt angelegte Teiche, worin die Moͤnche ver- ſchiedne lebendige ſchwarze Schildkroͤten zu ihrem Vergnuͤ- gen hielten. Der Tempel des Daibud iſt unter allen der groͤßte und merkwuͤrdigſte. Er ruhet auf ſechs und neun- zig Pfeilern und hat verſchiedne Eingaͤnge, die zwar ſehr hoch, aber dabey ſchmal ſind. Das Gebaͤude beſteht gleichſam aus zwey Stockwerken, die in einander laufen, und hat daher ein doppeltes Dach, wovon das obere durch unterſchiedliche, uͤber ein Klafter im Umfange ha- bende, angemahlte Pfeiler unterſtuͤtzt wird. Der Fuß- boden iſt, (welches mir vorher nirgends vorgekommen war), mit viereckigen Marmorſteinen belegt. Schade, — denn weiter fehlte hier nichts — daß die Japaner nicht ſo viel von der Baukunſt verſtehen, einem ſo großen und praͤchtigen Gebaͤude hinreichendes Licht zu verſchaffen. Das Bild des Gottes ſteht beynahe in der Mitte. Sein Anblick erregt zu gleicher Zeit Entſetzen und Ehrfurcht: Entſetzen durch ſeine Groͤße, die ſchwerlich in der ganzen Welt ihres gleichen hat; Ehrfurcht, in Anſehung der Betrachtungen, die man dabey anzuſtellen Gelegenheit bekommt. Die Figur iſt ſitzend, und zwar auf India- niſche Art, die Fuͤße kreutzweiſe nach vorn gelegt. Die Statuͤe ſteht ungefaͤhr ein Klafter hoch von der Erde, und iſt vergoldet. Die Ohren ſind lang, das Haar ge- kraͤuſelt, die Schultern nackt, der Leib mit einem Schleyer
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Ruͤckreiſe von Jedo nach Dezima.
Auf der Herreiſe von Jedo wird den Hollaͤndern
allezeit mehr Freyheit, als auf der Hinreiſe verſtattet.
Wir bekamen auch die Erlaubniß, zu Miako verſchiedne
der groͤßten, praͤchtigſten und die ſchoͤnſte Lage habenden
Tempel zu beſehen. Die Tempel liegen nirgends in den
Staͤdten ſelbſt, ſondern am Abhange der Berge und auf
den Anhoͤhen draußen vor der Stadt, und haben die
reitzendſte Ausſicht. Bey den hieſigen Tempeln ſah ich
durch Kunſt angelegte Teiche, worin die Moͤnche ver-
ſchiedne lebendige ſchwarze Schildkroͤten zu ihrem Vergnuͤ-
gen hielten. Der Tempel des Daibud iſt unter allen der
groͤßte und merkwuͤrdigſte. Er ruhet auf ſechs und neun-
zig Pfeilern und hat verſchiedne Eingaͤnge, die zwar ſehr
hoch, aber dabey ſchmal ſind. Das Gebaͤude beſteht
gleichſam aus zwey Stockwerken, die in einander laufen,
und hat daher ein doppeltes Dach, wovon das obere
durch unterſchiedliche, uͤber ein Klafter im Umfange ha-
bende, angemahlte Pfeiler unterſtuͤtzt wird. Der Fuß-
boden iſt, (welches mir vorher nirgends vorgekommen
war), mit viereckigen Marmorſteinen belegt. Schade,
— denn weiter fehlte hier nichts — daß die Japaner
nicht ſo viel von der Baukunſt verſtehen, einem ſo großen
und praͤchtigen Gebaͤude hinreichendes Licht zu verſchaffen.
Das Bild des Gottes ſteht beynahe in der Mitte. Sein
Anblick erregt zu gleicher Zeit Entſetzen und Ehrfurcht:
Entſetzen durch ſeine Groͤße, die ſchwerlich in der ganzen
Welt ihres gleichen hat; Ehrfurcht, in Anſehung der
Betrachtungen, die man dabey anzuſtellen Gelegenheit
bekommt. Die Figur iſt ſitzend, und zwar auf India-
niſche Art, die Fuͤße kreutzweiſe nach vorn gelegt. Die
Statuͤe ſteht ungefaͤhr ein Klafter hoch von der Erde,
und iſt vergoldet. Die Ohren ſind lang, das Haar ge-
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Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 2. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1794, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen02_1794/161>, abgerufen am 23.11.2024.
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