Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 2. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1794.Ausenthalt in der Hauptstadt Jedo. ten. Da unsre Fragen und Antworten allezeit durch denMund der Dolmetscher gehen mußten, trat nicht selten der Fall ein, daß wir einander nicht deutlich verstehen konnten. Dazu kam, daß ich selbst nicht solche astrono- mische Kenntnisse besaß, als ich wünschte, und daß we- der sie noch ich Bücher zur Hand hatten, die uns hätten behülflich seyn können. Mit den Aerzten war die Un- terredung viel leichter. Zwey von ihnen verstanden selbst das Holländische etwas, und die Dolmetscher sind über- all in der Arzneywissenschaft nicht unerfahren. Die Aerzte will ich doch näher beschreiben. Einer hieß Oka- da Jeosin, ein Mann über siebzig Jahr. Er führte meist immer das Wort. Unter andern verlangte er vom Krebs, Beinbruch, Nasenbluten, Geschwüren, Phi- mosis, Wunden im Halse, Zahnschmerzen und der goldnen Ader vieles zu hören. Ihn begleitete gewöhnlich ein junger Mann, Kurisuki Dofa. Zwey andre, Amano Reosjun, und Fokusmoto Dosin verhielten sich gemeiniglich nur als Zuhörer. Diese vier wiederhohlten ihren Besuch nicht oft, legten ihn auch in der Folge nicht feyerlich, sondern privatim bey mir ab. Zwey andre aber kamen nicht nur alle Tage zu mir, sondern blieben auch zum öftern spät in der Nacht, um sich von mir in der Physik, Oekonomie, besonders aber in der Botanik, Chirurgie und Medicin, Wissenschaften, die sie sehr liebten, un- terrichten zu lassen. Einer von ihnen, Nahmens Kat- fragawa Fosju, war Leibarzt des Kaisers, dessen Wa- pen er auch auf seinen Kleidern trug, ein ganz junger lebhafter Mann, ein guter Kopf und dabey von gutem Gemüths-Charakter. In seiner Gesellschaft war allezeit einer seiner Freunde, Nakagawa Sunnan, etwas älter, und Leib-Medicus im Dienste eines der vornehmsten Fürsten des Landes. Beyde, insonderheit der letztere, spra- Auſenthalt in der Hauptſtadt Jedo. ten. Da unſre Fragen und Antworten allezeit durch denMund der Dolmetſcher gehen mußten, trat nicht ſelten der Fall ein, daß wir einander nicht deutlich verſtehen konnten. Dazu kam, daß ich ſelbſt nicht ſolche aſtrono- miſche Kenntniſſe beſaß, als ich wuͤnſchte, und daß we- der ſie noch ich Buͤcher zur Hand hatten, die uns haͤtten behuͤlflich ſeyn koͤnnen. Mit den Aerzten war die Un- terredung viel leichter. Zwey von ihnen verſtanden ſelbſt das Hollaͤndiſche etwas, und die Dolmetſcher ſind uͤber- all in der Arzneywiſſenſchaft nicht unerfahren. Die Aerzte will ich doch naͤher beſchreiben. Einer hieß Oka- da Jeoſin, ein Mann uͤber ſiebzig Jahr. Er fuͤhrte meiſt immer das Wort. Unter andern verlangte er vom Krebs, Beinbruch, Naſenbluten, Geſchwuͤren, Phi- moſis, Wunden im Halſe, Zahnſchmerzen und der goldnen Ader vieles zu hoͤren. Ihn begleitete gewoͤhnlich ein junger Mann, Kuriſuki Dofa. Zwey andre, Amano Reosjun, und Fokuſmoto Doſin verhielten ſich gemeiniglich nur als Zuhoͤrer. Dieſe vier wiederhohlten ihren Beſuch nicht oft, legten ihn auch in der Folge nicht feyerlich, ſondern privatim bey mir ab. Zwey andre aber kamen nicht nur alle Tage zu mir, ſondern blieben auch zum oͤftern ſpaͤt in der Nacht, um ſich von mir in der Phyſik, Oekonomie, beſonders aber in der Botanik, Chirurgie und Medicin, Wiſſenſchaften, die ſie ſehr liebten, un- terrichten zu laſſen. Einer von ihnen, Nahmens Kat- fragawa Fosju, war Leibarzt des Kaiſers, deſſen Wa- pen er auch auf ſeinen Kleidern trug, ein ganz junger lebhafter Mann, ein guter Kopf und dabey von gutem Gemuͤths-Charakter. In ſeiner Geſellſchaft war allezeit einer ſeiner Freunde, Nakagawa Sunnan, etwas aͤlter, und Leib-Medicus im Dienſte eines der vornehmſten Fuͤrſten des Landes. Beyde, inſonderheit der letztere, ſpra- <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0139" n="105"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Auſenthalt in der Hauptſtadt <placeName>Jedo</placeName>.</hi></fw><lb/> ten. Da unſre Fragen und Antworten allezeit durch den<lb/> Mund der Dolmetſcher gehen mußten, trat nicht ſelten<lb/> der Fall ein, daß wir einander nicht deutlich verſtehen<lb/> konnten. Dazu kam, daß ich ſelbſt nicht ſolche aſtrono-<lb/> miſche Kenntniſſe beſaß, als ich wuͤnſchte, und daß we-<lb/> der ſie noch ich Buͤcher zur Hand hatten, die uns haͤtten<lb/> behuͤlflich ſeyn koͤnnen. Mit den Aerzten war die Un-<lb/> terredung viel leichter. Zwey von ihnen verſtanden ſelbſt<lb/> das Hollaͤndiſche etwas, und die Dolmetſcher ſind uͤber-<lb/> all in der Arzneywiſſenſchaft nicht unerfahren. 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Auſenthalt in der Hauptſtadt Jedo.
ten. Da unſre Fragen und Antworten allezeit durch den
Mund der Dolmetſcher gehen mußten, trat nicht ſelten
der Fall ein, daß wir einander nicht deutlich verſtehen
konnten. Dazu kam, daß ich ſelbſt nicht ſolche aſtrono-
miſche Kenntniſſe beſaß, als ich wuͤnſchte, und daß we-
der ſie noch ich Buͤcher zur Hand hatten, die uns haͤtten
behuͤlflich ſeyn koͤnnen. Mit den Aerzten war die Un-
terredung viel leichter. Zwey von ihnen verſtanden ſelbſt
das Hollaͤndiſche etwas, und die Dolmetſcher ſind uͤber-
all in der Arzneywiſſenſchaft nicht unerfahren. Die
Aerzte will ich doch naͤher beſchreiben. Einer hieß Oka-
da Jeoſin, ein Mann uͤber ſiebzig Jahr. Er fuͤhrte
meiſt immer das Wort. Unter andern verlangte er vom
Krebs, Beinbruch, Naſenbluten, Geſchwuͤren, Phi-
moſis, Wunden im Halſe, Zahnſchmerzen und der
goldnen Ader vieles zu hoͤren. Ihn begleitete gewoͤhnlich
ein junger Mann, Kuriſuki Dofa. Zwey andre,
Amano Reosjun, und Fokuſmoto Doſin verhielten ſich
gemeiniglich nur als Zuhoͤrer. Dieſe vier wiederhohlten
ihren Beſuch nicht oft, legten ihn auch in der Folge nicht
feyerlich, ſondern privatim bey mir ab. Zwey andre aber
kamen nicht nur alle Tage zu mir, ſondern blieben auch zum
oͤftern ſpaͤt in der Nacht, um ſich von mir in der Phyſik,
Oekonomie, beſonders aber in der Botanik, Chirurgie
und Medicin, Wiſſenſchaften, die ſie ſehr liebten, un-
terrichten zu laſſen. Einer von ihnen, Nahmens Kat-
fragawa Fosju, war Leibarzt des Kaiſers, deſſen Wa-
pen er auch auf ſeinen Kleidern trug, ein ganz junger
lebhafter Mann, ein guter Kopf und dabey von gutem
Gemuͤths-Charakter. In ſeiner Geſellſchaft war allezeit
einer ſeiner Freunde, Nakagawa Sunnan, etwas aͤlter,
und Leib-Medicus im Dienſte eines der vornehmſten
Fuͤrſten des Landes. Beyde, inſonderheit der letztere, ſpra-
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