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Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 1. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1792.

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Aufenthalt in Paris.

In der chirurgischen Akademie zeigte la Faye, ge-
rade als ich eben einmahl da war, ein sechs und dreyßig-
jähriges Mädchen, das im siebenten Jahre die Pocken
gehabt, und hernach durch Abscesse oder Krebsschaden
die Zunge nach und nach stückweise verloren hatte.
Zwey Jahr darauf hatte es nicht sprechen können; all-
mählig hatte es sich aber doch mit der Zeit wieder dazu
gewöhnt. Man sah jetzt keine Spur von einer Zunge,
sondern die Mandeln standen nur etwas hervor. In-
zwischen sprach sie doch sehr vernehmlich und sang auch
deutliche Worte, welches sie auf die Art bewerkstelligte,
daß sie die Zähne zusammenbiß und die untere Lippe ge-
gen die obere drückte.

Am zweyten May bekam die Französische Garde, die
blaue Uniform mit silbernen Tressen hat, und die Schwei-
tzer-Garde, welche roth mondirt ist, den feyerlichen
Segen für dieses Jahr in der Notredame-Kirche, wo-
hin sie mit vieler Musik und großem Pompe aufgezogen
waren. Bey dieser Gelegenheit bestieg ich den Thurm
dieser Kirche, wo man eine herrliche Aussicht hat.

Am Tage der Vermählung des Grafen von Pro-
vence
mit einer Sardinischen Prinzessin, war ganz Pa-
ris
mit Lichtern und Lampen, die draußen vor die Fen-
ster gestellt waren, erleuchtet, und auf den Marktplätzen
wurde Essen und Wein ausgetheilt.

Den 2. Julius hatte ich einen sonderbaren An-
blick. Gegen Abend wurde ein Kerl in Effigie durch
einige Gassen der Stadt geführt, und darauf geköpft
und verbrannt. Man erzählte mir, vor mehreren Jah-
ren habe jemand in der Trunkenheit am Wege, gerade
vor einem Kloster, ein Marienbild mit seinem Degen
geschlagen und gestochen, und sey hernach auf diese Art
bestraft worden; zum Andenken dieser abscheulichen

Aufenthalt in Paris.

In der chirurgiſchen Akademie zeigte la Faye, ge-
rade als ich eben einmahl da war, ein ſechs und dreyßig-
jaͤhriges Maͤdchen, das im ſiebenten Jahre die Pocken
gehabt, und hernach durch Abſceſſe oder Krebsſchaden
die Zunge nach und nach ſtuͤckweiſe verloren hatte.
Zwey Jahr darauf hatte es nicht ſprechen koͤnnen; all-
maͤhlig hatte es ſich aber doch mit der Zeit wieder dazu
gewoͤhnt. Man ſah jetzt keine Spur von einer Zunge,
ſondern die Mandeln ſtanden nur etwas hervor. In-
zwiſchen ſprach ſie doch ſehr vernehmlich und ſang auch
deutliche Worte, welches ſie auf die Art bewerkſtelligte,
daß ſie die Zaͤhne zuſammenbiß und die untere Lippe ge-
gen die obere druͤckte.

Am zweyten May bekam die Franzoͤſiſche Garde, die
blaue Uniform mit ſilbernen Treſſen hat, und die Schwei-
tzer-Garde, welche roth mondirt iſt, den feyerlichen
Segen fuͤr dieſes Jahr in der Notredame-Kirche, wo-
hin ſie mit vieler Muſik und großem Pompe aufgezogen
waren. Bey dieſer Gelegenheit beſtieg ich den Thurm
dieſer Kirche, wo man eine herrliche Ausſicht hat.

Am Tage der Vermaͤhlung des Grafen von Pro-
vence
mit einer Sardiniſchen Prinzeſſin, war ganz Pa-
ris
mit Lichtern und Lampen, die draußen vor die Fen-
ſter geſtellt waren, erleuchtet, und auf den Marktplaͤtzen
wurde Eſſen und Wein ausgetheilt.

Den 2. Julius hatte ich einen ſonderbaren An-
blick. Gegen Abend wurde ein Kerl in Effigie durch
einige Gaſſen der Stadt gefuͤhrt, und darauf gekoͤpft
und verbrannt. Man erzaͤhlte mir, vor mehreren Jah-
ren habe jemand in der Trunkenheit am Wege, gerade
vor einem Kloſter, ein Marienbild mit ſeinem Degen
geſchlagen und geſtochen, und ſey hernach auf dieſe Art
beſtraft worden; zum Andenken dieſer abſcheulichen

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[57/0085] Aufenthalt in Paris. In der chirurgiſchen Akademie zeigte la Faye, ge- rade als ich eben einmahl da war, ein ſechs und dreyßig- jaͤhriges Maͤdchen, das im ſiebenten Jahre die Pocken gehabt, und hernach durch Abſceſſe oder Krebsſchaden die Zunge nach und nach ſtuͤckweiſe verloren hatte. Zwey Jahr darauf hatte es nicht ſprechen koͤnnen; all- maͤhlig hatte es ſich aber doch mit der Zeit wieder dazu gewoͤhnt. Man ſah jetzt keine Spur von einer Zunge, ſondern die Mandeln ſtanden nur etwas hervor. In- zwiſchen ſprach ſie doch ſehr vernehmlich und ſang auch deutliche Worte, welches ſie auf die Art bewerkſtelligte, daß ſie die Zaͤhne zuſammenbiß und die untere Lippe ge- gen die obere druͤckte. Am zweyten May bekam die Franzoͤſiſche Garde, die blaue Uniform mit ſilbernen Treſſen hat, und die Schwei- tzer-Garde, welche roth mondirt iſt, den feyerlichen Segen fuͤr dieſes Jahr in der Notredame-Kirche, wo- hin ſie mit vieler Muſik und großem Pompe aufgezogen waren. Bey dieſer Gelegenheit beſtieg ich den Thurm dieſer Kirche, wo man eine herrliche Ausſicht hat. Am Tage der Vermaͤhlung des Grafen von Pro- vence mit einer Sardiniſchen Prinzeſſin, war ganz Pa- ris mit Lichtern und Lampen, die draußen vor die Fen- ſter geſtellt waren, erleuchtet, und auf den Marktplaͤtzen wurde Eſſen und Wein ausgetheilt. Den 2. Julius hatte ich einen ſonderbaren An- blick. Gegen Abend wurde ein Kerl in Effigie durch einige Gaſſen der Stadt gefuͤhrt, und darauf gekoͤpft und verbrannt. Man erzaͤhlte mir, vor mehreren Jah- ren habe jemand in der Trunkenheit am Wege, gerade vor einem Kloſter, ein Marienbild mit ſeinem Degen geſchlagen und geſtochen, und ſey hernach auf dieſe Art beſtraft worden; zum Andenken dieſer abſcheulichen

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Zitationshilfe: Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 1. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1792, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen01_1792/85>, abgerufen am 24.11.2024.