lungen haben, worin man aus den Häusern sowohl die Asche als den Unrath abhohlt, welches, sobald der Fuhr- mann ruft, vor die Hausthüre gesetzt wird. Man hat also nicht nöthig, dergleichen in die Gräben zu werfen, welches Verschlemmung derselben, Gestank und Krank- heiten zur Folge haben würde.
Jedermann lebt hier übrigens in völliger Freyheit, ohne allen Zwang: Selbstgewalt kann niemand aus- üben. Der eine erscheint geschmückt, der andre in Lumpen, ohne daß man Acht darauf giebt. Im Hause und sogar in der Kirche haben die Leute den Hut auf dem Kopfe, ohne Rücksicht auf Person oder Umstände. Eben so hat ein jeder, von welcher Nation oder Reli- gion er sey, die Freyheit, sich mit dem was er versteht, seinen Unterhalt zu verdienen, wofern es nur ehrlicher Weise geschieht. Innungen, Zünfte, Monopolien, ausschließende Privilegien legen niemand Hinderniß in den Weg, auf eine oder andre Art sich etwas zu erwer- ben. Reisende sind weder der Unbequemlichkeit, in den Stadtthoren visitirt, noch weniger aber der Gefahr, dabey gemißhandelt zu werden, ausgesetzt; denn Land- zölle kennt man hier gar nicht.
Am Tage nach meiner Ankunft wurden verschie- dene Verbrecher öffentlich bestraft. Nahe beym Rath- hause war ein Schafott errichtet, auf welchem einige mit Ruthen gepeitscht, und einer gerädert wurde. Während der Execution sahen die Rathsherren in ihrer Amtskleidung aus den Rathhausfenstern zu. Dies schien der Strafe kein geringes Ansehen zu geben, weil diejenigen, welche die Untersuchung angestellt und das Urtheil gesprochen hatten, selbst zugegen waren, nicht aber die Vollziehung des Richterspruchs einem Fiskale oder Untergerichts-Bedienten anvertraueten: Leute, die
Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt.
lungen haben, worin man aus den Haͤuſern ſowohl die Aſche als den Unrath abhohlt, welches, ſobald der Fuhr- mann ruft, vor die Hausthuͤre geſetzt wird. Man hat alſo nicht noͤthig, dergleichen in die Graͤben zu werfen, welches Verſchlemmung derſelben, Geſtank und Krank- heiten zur Folge haben wuͤrde.
Jedermann lebt hier uͤbrigens in voͤlliger Freyheit, ohne allen Zwang: Selbſtgewalt kann niemand aus- uͤben. Der eine erſcheint geſchmuͤckt, der andre in Lumpen, ohne daß man Acht darauf giebt. Im Hauſe und ſogar in der Kirche haben die Leute den Hut auf dem Kopfe, ohne Ruͤckſicht auf Perſon oder Umſtaͤnde. Eben ſo hat ein jeder, von welcher Nation oder Reli- gion er ſey, die Freyheit, ſich mit dem was er verſteht, ſeinen Unterhalt zu verdienen, wofern es nur ehrlicher Weiſe geſchieht. Innungen, Zuͤnfte, Monopolien, ausſchließende Privilegien legen niemand Hinderniß in den Weg, auf eine oder andre Art ſich etwas zu erwer- ben. Reiſende ſind weder der Unbequemlichkeit, in den Stadtthoren viſitirt, noch weniger aber der Gefahr, dabey gemißhandelt zu werden, ausgeſetzt; denn Land- zoͤlle kennt man hier gar nicht.
Am Tage nach meiner Ankunft wurden verſchie- dene Verbrecher oͤffentlich beſtraft. Nahe beym Rath- hauſe war ein Schafott errichtet, auf welchem einige mit Ruthen gepeitſcht, und einer geraͤdert wurde. Waͤhrend der Execution ſahen die Rathsherren in ihrer Amtskleidung aus den Rathhausfenſtern zu. Dies ſchien der Strafe kein geringes Anſehen zu geben, weil diejenigen, welche die Unterſuchung angeſtellt und das Urtheil geſprochen hatten, ſelbſt zugegen waren, nicht aber die Vollziehung des Richterſpruchs einem Fiſkale oder Untergerichts-Bedienten anvertraueten: Leute, die
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Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt.
lungen haben, worin man aus den Haͤuſern ſowohl die
Aſche als den Unrath abhohlt, welches, ſobald der Fuhr-
mann ruft, vor die Hausthuͤre geſetzt wird. Man hat
alſo nicht noͤthig, dergleichen in die Graͤben zu werfen,
welches Verſchlemmung derſelben, Geſtank und Krank-
heiten zur Folge haben wuͤrde.
Jedermann lebt hier uͤbrigens in voͤlliger Freyheit,
ohne allen Zwang: Selbſtgewalt kann niemand aus-
uͤben. Der eine erſcheint geſchmuͤckt, der andre in
Lumpen, ohne daß man Acht darauf giebt. Im Hauſe
und ſogar in der Kirche haben die Leute den Hut auf dem
Kopfe, ohne Ruͤckſicht auf Perſon oder Umſtaͤnde.
Eben ſo hat ein jeder, von welcher Nation oder Reli-
gion er ſey, die Freyheit, ſich mit dem was er verſteht,
ſeinen Unterhalt zu verdienen, wofern es nur ehrlicher
Weiſe geſchieht. Innungen, Zuͤnfte, Monopolien,
ausſchließende Privilegien legen niemand Hinderniß in
den Weg, auf eine oder andre Art ſich etwas zu erwer-
ben. Reiſende ſind weder der Unbequemlichkeit, in den
Stadtthoren viſitirt, noch weniger aber der Gefahr,
dabey gemißhandelt zu werden, ausgeſetzt; denn Land-
zoͤlle kennt man hier gar nicht.
Am Tage nach meiner Ankunft wurden verſchie-
dene Verbrecher oͤffentlich beſtraft. Nahe beym Rath-
hauſe war ein Schafott errichtet, auf welchem einige
mit Ruthen gepeitſcht, und einer geraͤdert wurde.
Waͤhrend der Execution ſahen die Rathsherren in ihrer
Amtskleidung aus den Rathhausfenſtern zu. Dies
ſchien der Strafe kein geringes Anſehen zu geben, weil
diejenigen, welche die Unterſuchung angeſtellt und das
Urtheil geſprochen hatten, ſelbſt zugegen waren, nicht
aber die Vollziehung des Richterſpruchs einem Fiſkale
oder Untergerichts-Bedienten anvertraueten: Leute, die
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Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 1. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1792, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen01_1792/40>, abgerufen am 11.12.2024.
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