Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 1. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1792.Vierte Abtheilung. Achter Abschnitt. er dies lesen wird! Wer wird die Erzählung nicht fürübertrieben halten? Und doch ist sie buchstäblich wahr. Aber so geht man mit den Leuten um. -- Doch ich muß meine Leser mit dem menschlichen Geschlechte durch die Beschreibung einer der edelsten und großmüthigsten Handlungen, die je ein Mensch verrichtete, und die beson- ders gegen jene Härte des Officiers sehr absticht, wieder aussöhnen. Ein alter Mann, Nahmens Woltemat, ein gebohrner Europäer, jetzt Aufseher der seltnen Thiere, die man in der, oberhalb des der Compagnie gehörigen Gartens, angelegten Menagerie lebendig aufbewahrt, hatte einen Sohn, der in der Citadelle als Corporal diente, und einer der ersten war, die nach dem Paer- den-Eyland beordert wurden, um da wegen der Sicher- heit der gestrandeten Güter Wache zu halten. Der biedre Greis lieh ein Pferd, und ritt mit einer Flasche Wein und einem Brote schon des Morgens früh aus der Stadt zu seinem Sohne, um ihm das Frühstück zu bringen. Er that dies, ehe man den Galgen gebauet, und das Placat angeschlagen hatte. Er hörte das Win- seln und Klaggeschrey der Unglücklichen auf dem Wrake. Kaum hatte er das Frühstück an seinen Sohn abgelie- fert, als er den eben so herzhaften, als edelmüthigen Entschluß faßte, sich mit seinem Pferde, wovon er wußte, daß es gut schwimmen konnte, nach dem Wrake zu begeben, um so viele als möglich zu retten. Er kam hin, und brachte zwey Menschen glücklich ans Land. So gefährlich die Fahrt war, wiederhohlte er sie doch noch sechsmahl, und brachte jedesmahl zwey Personen lebendig mit. Jetzt hatte er auf diese Art vierzehn Men- schen das Leben erhalten, als sein Pferd so abgemattet war, daß er es nicht für rathsam hielt, zum achtenmahl Vierte Abtheilung. Achter Abſchnitt. er dies leſen wird! Wer wird die Erzaͤhlung nicht fuͤruͤbertrieben halten? Und doch iſt ſie buchſtaͤblich wahr. Aber ſo geht man mit den Leuten um. — Doch ich muß meine Leſer mit dem menſchlichen Geſchlechte durch die Beſchreibung einer der edelſten und großmuͤthigſten Handlungen, die je ein Menſch verrichtete, und die beſon- ders gegen jene Haͤrte des Officiers ſehr abſticht, wieder ausſoͤhnen. Ein alter Mann, Nahmens Woltemat, ein gebohrner Europaͤer, jetzt Aufſeher der ſeltnen Thiere, die man in der, oberhalb des der Compagnie gehoͤrigen Gartens, angelegten Menagerie lebendig aufbewahrt, hatte einen Sohn, der in der Citadelle als Corporal diente, und einer der erſten war, die nach dem Paer- den-Eyland beordert wurden, um da wegen der Sicher- heit der geſtrandeten Guͤter Wache zu halten. Der biedre Greis lieh ein Pferd, und ritt mit einer Flaſche Wein und einem Brote ſchon des Morgens fruͤh aus der Stadt zu ſeinem Sohne, um ihm das Fruͤhſtuͤck zu bringen. Er that dies, ehe man den Galgen gebauet, und das Placat angeſchlagen hatte. Er hoͤrte das Win- ſeln und Klaggeſchrey der Ungluͤcklichen auf dem Wrake. Kaum hatte er das Fruͤhſtuͤck an ſeinen Sohn abgelie- fert, als er den eben ſo herzhaften, als edelmuͤthigen Entſchluß faßte, ſich mit ſeinem Pferde, wovon er wußte, daß es gut ſchwimmen konnte, nach dem Wrake zu begeben, um ſo viele als moͤglich zu retten. Er kam hin, und brachte zwey Menſchen gluͤcklich ans Land. So gefaͤhrlich die Fahrt war, wiederhohlte er ſie doch noch ſechsmahl, und brachte jedesmahl zwey Perſonen lebendig mit. Jetzt hatte er auf dieſe Art vierzehn Men- ſchen das Leben erhalten, als ſein Pferd ſo abgemattet war, daß er es nicht fuͤr rathſam hielt, zum achtenmahl <TEI> <text> <body> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0312" n="284"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vierte Abtheilung. Achter Abſchnitt.</hi></fw><lb/> er dies leſen wird! Wer wird die Erzaͤhlung nicht fuͤr<lb/> uͤbertrieben halten? 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Vierte Abtheilung. Achter Abſchnitt.
er dies leſen wird! Wer wird die Erzaͤhlung nicht fuͤr
uͤbertrieben halten? Und doch iſt ſie buchſtaͤblich wahr.
Aber ſo geht man mit den Leuten um. — Doch ich
muß meine Leſer mit dem menſchlichen Geſchlechte durch
die Beſchreibung einer der edelſten und großmuͤthigſten
Handlungen, die je ein Menſch verrichtete, und die beſon-
ders gegen jene Haͤrte des Officiers ſehr abſticht, wieder
ausſoͤhnen. Ein alter Mann, Nahmens Woltemat,
ein gebohrner Europaͤer, jetzt Aufſeher der ſeltnen Thiere,
die man in der, oberhalb des der Compagnie gehoͤrigen
Gartens, angelegten Menagerie lebendig aufbewahrt,
hatte einen Sohn, der in der Citadelle als Corporal
diente, und einer der erſten war, die nach dem Paer-
den-Eyland beordert wurden, um da wegen der Sicher-
heit der geſtrandeten Guͤter Wache zu halten. Der
biedre Greis lieh ein Pferd, und ritt mit einer Flaſche
Wein und einem Brote ſchon des Morgens fruͤh aus
der Stadt zu ſeinem Sohne, um ihm das Fruͤhſtuͤck zu
bringen. Er that dies, ehe man den Galgen gebauet,
und das Placat angeſchlagen hatte. Er hoͤrte das Win-
ſeln und Klaggeſchrey der Ungluͤcklichen auf dem Wrake.
Kaum hatte er das Fruͤhſtuͤck an ſeinen Sohn abgelie-
fert, als er den eben ſo herzhaften, als edelmuͤthigen
Entſchluß faßte, ſich mit ſeinem Pferde, wovon er
wußte, daß es gut ſchwimmen konnte, nach dem Wrake
zu begeben, um ſo viele als moͤglich zu retten. Er kam
hin, und brachte zwey Menſchen gluͤcklich ans Land.
So gefaͤhrlich die Fahrt war, wiederhohlte er ſie doch
noch ſechsmahl, und brachte jedesmahl zwey Perſonen
lebendig mit. Jetzt hatte er auf dieſe Art vierzehn Men-
ſchen das Leben erhalten, als ſein Pferd ſo abgemattet
war, daß er es nicht fuͤr rathſam hielt, zum achtenmahl
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